Auch wenn der Autor aus der bösen Region kommt, ist der Beitrag doch absolut lesenswert und bringt das Ding und die Gesamtheit des Dings auf den Punkt:
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Warum zum Fußball? Ja, was denn sonst? Andere züchten Tauben, sammeln Briefmarken oder häkeln Deckchen. Wir gehen ins Stadion. So einfach ist das. Warum, warum, warum? Weil Samstag ist! Weil wir heute die Bayern weghauen.
Viele kluge Menschen haben eine Menge unkluge Sachen über Fußball gesagt. Sie haben über seine politische, wirtschaftliche und gar philosophische Bedeutung sinniert. Das mögen Randerscheinungen sein, den Kern des Spiel beschreiben sie nicht. Im Gegensatz zu anderen Kollektivereignissen wie Theateraufführungen, Karnevalsumzügen oder Gottesdiensten haben Fußballspiele keinen tieferen Sinn. Fußball ist Fußball. Das war's. Wem das nicht passt, der kann zu Hause bleiben - und sich langweilen.
Das Schöne an einem Fußballspiel ist, dass man sich so lange vorher darauf freuen und darüber reden kann. Das war als Kind so - und hat sich bis heute unwesentlich geändert. Als kleiner Junge begann das Spiel am Samstag bereits montags. Und zwar mit der Frage: Papa, fahren wir hin? Die Antwort war stets eine Gegenfrage, die ich, obwohl ich sie nicht als solche benennen konnte, doch flugs als rhetorisch entlarvte: Wer spielt denn? Papa! Na ja, mal sehen. So ging das die ganze lange Woche, Abend für Abend. Bis ich samstags aus der Schule kam und auf dem Küchentisch die Flasche Mineralwasser und die Rolle Doppelkekse standen. Das war das Signal: Es geht los.
Weil er den Kopf frei macht
Fußball ist so faszinierend, weil er den Kopf frei macht. Wer es liebt, kann in einem Fußballspiel versinken. Für 90 Minuten gibt es kein Grübeln, keine Gedanken, die über das Spiel und das, was da auf dem Rasen passiert, hinausgehen. Besonders deutlich wird dieses Phänomen bei Spielen, die unter Flutlicht stattfinden. Spiele bei Tageslicht lassen eine Realität außerhalb des Stadions zumindest in der Theorie als möglich erscheinen. Ist es überall dunkel und nur auf dem Platz hell, existiert keine andere Welt. Spiele bei Flutlicht sind selbst dann schön, wenn es regnet. Oder gerade dann. Wenn der Regen durch das Stadion peitscht und sich das Licht in den Tropfen bricht, dann erst scheint die Bühne für das große Spiel bereitet.
Dabei waren Flutlichtspiele früher verbotene Spiele. Zu spät, hieß es. Da sind wir erst um halb zwölf zu Hause, und du musst doch morgen in die Schule. Blieb das Radio unter der Bettdecke. Dort erzählte der Reporter von der prickelnden Atmosphäre im Stadion, das hell in die Nacht strahlt. Von leidenschaftlichen Zuschauern und enthemmten Spielern. Kurz, von großen Abenden. Und ich war dabei. Wenn auch nur am Radio.
Das Ganze ist kein Spaß
Aber um hier keinen falschen Eindruck zu erwecken: Das Ganze ist kein Spaß. Oder, wie man bei uns im Münsterland sagt: Spass. Fußballfans gehen nicht ins Stadion, um sich zu amüsieren. Wir wollen, dass unsere Mannschaft gewinnt. Und nicht der Bessere. Wir wollen uns aufregen und, ja, manchmal auch leiden. Die Regeln sind einfach, nicht nur auf dem Rasen: Wir sind die Guten, der Gegner ist doof. Anders als im richtigen Leben gibt es keine Nuancen, wir wägen nicht ab. Und wenn unsere Mannschaft durch einen unberechtigten Handelfmeter in der Nachspielzeit mit 1:0 gewinnt, nachdem die Spieler, unsere Spieler, 93 Minuten lang wie die Vollpfosten über den Platz gestolpert sind – dann ist das nicht nur in Ordnung. Dann muss das so sein. Das ist das, wovon wir träumen.
Fußball ist schlicht, Fußball leert den Kopf. Das ist ein Geschenk, um das uns alle, die es nie bekommen haben, beneiden müssen. Warum Fußball? Ja, was denn sonst!