Die Welt
"Ich hatte große Angst zu sterben"
Schalkes Torjäger Ebbe Sand über die Gefühle und Ängste eines Krebskranken
Von Thorsten Jungholt
Gelsenkirchen - Zwei Mal hätte Ebbe Sand am Samstag die Führung für den FC Schalke 04 bei 1860 München erzielen können. Doch sowohl in der 43. als auch in der 57. Minute brachte der Stürmer den Ball nicht an Münchens Torhüter Simon Jentzsch vorbei, Schalke verlor bei den Löwen 0:3. Manager Rudi Assauer und Trainer Frank Neubarth waren auch am Tag nach dem Spiel noch verstimmt angesichts des "leblosen Auftritts" ihrer Mannschaft.
Auch Kapitän Sand ärgerte sich, aber kaum jemand weiß besser als der 30 Jahre alte Däne, dass "es wichtigere Dinge als ein gewonnenes oder verlorenes Spiel" gibt. Denn Sand hatte Hodenkrebs.
In einem Interview mit der WELT am SONNTAG sprach er erstmals in Deutschland über sein vor zwei Wochen in Dänemark erschienenes Buch "Der Mann hinter den Toren", in dem er in sehr persönlicher Form über die Zeit seiner Erkrankung vor vier Jahren Auskunft gibt.
"Ich hatte große Angst zu sterben. In den 13 Tagen nach der Operation, als ich auf die Nachricht gewartet habe, ob ich eine Chemotherapie machen muss oder nicht - das war pure Angst, die ganz tief drin saß", sagte Sand, der anderen Krebskranken Hoffnung machen will. "Ich wusste immer: Ob mit oder ohne Chemotherapie, ich schaffe das. Obwohl du in dieser Phase jedes Zwicken und Husten für Krebs hältst. Das ist das Schlimmste: Die Angst sitzt so tief in dir drin, dass du alles mit der Krankheit in Verbindung bringst. Das wird im Laufe der Zeit besser, aber du kannst es nie vergessen, wenn du diese Krankheit einmal gehabt hast."
Sand hatte Glück: Weil der Krebs rechtzeitig diagnostiziert worden war und sich noch keine Metastasen gebildet hatten, konnte der Tumor operativ entfernt werden, eine Chemotherapie blieb ihm erspart - im Gegensatz zum Beispiel zum amerikanischen Radprofi Lance Armstrong, der seine Erfahrungen mit dem Krebs ebenfalls in einem Buch ("Tour des Lebens") veröffentlichte.
Sand ist es wichtig zu vermitteln, dass "weder Lance noch ich Übermenschen sind. Wir sind Beispiele, dass man den Weg zurück ins Leben schaffen kann".
Das Schreiben des Buches war für den Dänen auch eine Art Therapie zur Bewältigung der psychischen Folgen der Krankheit. "Körperlich war ich schnell wieder fit, aber mein Problem war, dass es noch so tief im Kopf saß." Es sei ein Fehler zu glauben, "man schafft das alles allein, nur durch Grübeln und Nachdenken". Vielmehr sei es wichtig, zu reden und externe Hilfe in Anspruch zu nehmen. "Ich konnte das erst überhaupt nicht. Vor allem nicht mit meinen Eltern oder meinen Brüdern. Wir sind eine Ingenieursfamilie, haben nie über seelische und psychische Dinge geredet, nur über Karriere und Beruf. Aber ich habe eine wunderbare Frau, die das sehr gut kann, und sie hat mir viel geholfen. Ich konnte nicht selbst anfangen, aber sie hat immer die richtigen Fragen gestellt und die Anstöße gegeben. Dadurch habe ich dann mit Reden und später Schreiben angefangen. Erst dadurch kam alles raus."
Ein weiteres Anliegen Sands ist es, abseits des Alltagsgeschehens zum Nachdenken über das Fußballgeschäft anzuregen. In einer Zeit, da Trainer und Berater junge Spieler immer früher in eine Profikarriere drängen, fordert Sand ein Umdenken. "Mit 17 oder 18 Jahren ist man nicht reif für eine solche Entscheidung. Warum also nicht erst eine Ausbildung machen?", fragt Sand. Der dänische Nationalspieler unterzeichnete selbst erst im Alter von 25 Jahren seinen ersten Profivertrag, nachdem er sein Studium zum Bauingenieur abgeschlossen hatte. Die besten Jahres eines Fußballspielers seien schließlich die von 25 bis 30.
Mit seinem Interview sorgte Sand außerdem dafür, dass es für den FC Schalke an diesem Wochenende zumindest eine gute Nachricht gab. Denn der Däne kündigte an, über sein Vertragsende im Jahr 2005 hinaus in Gelsenkirchen spielen zu wollen: "Ich bin mittlerweile ein Teil des Klubs und möchte es bis an mein Karriereende bleiben."