Ein Pokal, kein Pott
Warum sich Meisterschmied Wilhelm Nagel immer wieder ärgert, wenn Fußballer sein Werk respektlos durch die Luft wirbeln
Köln - -Wilhelm Nagel hatte "irgendwie schon kein gutes Gefühl", als der DFB-Pokal vor einem Jahr von einem freudetrunkenen Profi zum nächsten wanderte. Schalke hatte Leverkusen 4:2 geschlagen, und "zu viele Hände wollten den Pokal gleichzeitig berühren", erinnert sich der 75 Jahre alte Gold- und Silberschmied aus Köln, der Macher der Pokals.
Es war Sonntag, die Nagels saßen auf dem Ledersofa im Wohnzimmer ihres Klinkerhauses in Wesseling, und als der vom Fernsehen übertragene Triumph-Zug in Gelsenkirchen seinen Höhepunkt erreichte, "packte mich auf einmal die Angst", erinnert er sich. "Martha", sagte er zu seiner Frau, "das geht schief." Die Vorahnung des Meister-Schmieds sollte sich bewahrheiten: Kurz darauf, so wissen wir heute, glitt die Nagel-Trophäe Schalke-Manager Rudi Assauer aus den Händen und wurde stark beschädigt.
700 Arbeitsstunden kostete ihn die Reparatur. Nun sind alle Beulen und Schrammen vergessen, gut 32 000 Euro hat Schalke die Restaurierung gekostet. Verzeihen kann Nagel diesen Faux-Pas auch ein Jahr später nicht. Zu respektlos sei der Umgang mit der Trophäe gewesen, "das ist doch kein Alltagsgegenstand", entfährt es dem sonst so ruhigem Zeitgenossen. Dabei steigt ihm echte Zornesröte in das sonst freundliche Gesicht. Für Nagel hat der Pokal "fast schon eine sakrale Aura". Man müsse dem Preis "den nötigen Respekt entgegen bringen", fordert der Handwerksmeister, und genau das sei Assauer und Co. vor einem Jahr gänzlich abgegangen.
Mit einer für seine kräftige Statur auffallend filigranen Geste schiebt er sich die dicke Hornbrille zurück auf seine Nase. "Mich ärgert einfach, wie mit der Trophäe umgegangen wird", sagt Nagel noch einmal, jetzt sichtlich um Contenance bemüht. "Das fängt doch schon bei der Berichterstattung an", doziert er weiter. "Schreiben Sie ja nicht "Pott', droht er mit ausgestrecktem Finger: "Das ist ein Pokal. Wenn Sie Pott schreiben, brauchen sie sich bei mir nicht mehr blicken zu lassen." Der Mann meint das ernst.
Im Jahr 1964 hatte der Meister und Dozent an der berühmten "Kölner Werkschule" vom scheidenden DFB-Präsidenten Dr. Peco Bauwens den Auftrag erhalten, "für den Fußball die schönste Trophäe überhaupt" zu fertigen. Wenn er heute sieht, wie erwachsene Fußballspieler beim Anblick des Pokals wie kleine Kinder umherspringen und einigen der hartgesottenen Profis sogar Tränen der Rührung über die Wangen rollen, sind "das die Momente, wo ich mich richtig freue", sagt Nagel. Im Souterrain hat er seine Werkstatt, in seiner Arbeitsschürze steht Wilhelm Nagel vor dem Fenster an seiner Werkbank und sinniert: "Ist doch klar, dass sich die Jungs freuen, wenn sie diese schöne Trophäe überreicht bekommen." Seine Hände zeichnen dabei ein Abbild des DFB-Pokals in die Luft, aber das "Wie" sei eben entscheidend. So habe er nichts gegen das Champagner-Ritual des Siegerteams, "schließlich ist ein Gefäß ja zum Trinken da".
Trotzdem freue er sich, und dabei hellen sich die Gesichtszüge des Meisters endlich auf, "wenn ich im April den Pokal wieder für drei Wochen bei mir habe um die Gebrauchsspuren zu beseitigen."
Wenn heute die Trophäe in überschäumender Freude von einem Fußballer zum anderen wandelt, schaut Herr Nagel aus Wesseling wieder genau hin. "Wenigstens", sagt er und schmunzelt, "wenigstens kann sich Rudi Assauer nicht wieder am Pokal vergreifen."
Quelle:http://www.welt.de