Na, du süßer, kleiner Briegel?
Von Christian Zaschke
Es gibt gerade ziemlich viele gute Nachrichten aus Albanien. Seit März zum Beispiel ist das Land wieder ans internationale Eisenbahnnetz angeschlossen. Bei der Wiedereröffnung der Eisenbahnlinie zwischen Shkodra und Montenegro saß der albanische Ministerpräsident Fatos Nano stolz im Zug. Überhaupt entpuppte sich der März als Wonnemonat Albaniens, besiegte doch die Fußball-Nationalmannschaft Russland 3:1. Die Freude im Land wurde noch größer als nach der Eisenbahnsache, und es geschah etwas so Seltsames wie Schönes: Viele junge Frauen im Land gebaren Kinder und gaben ihnen nicht einen guten albanischen Namen, etwa Fatos, dem Präsidenten zu Ehre, sondern sie sprachen, von der Säuglingsschwester gefragt, wie das Kleine denn hieße, voll Ernst und sehr stolz: „Briegel“.
Die albanischen Schwestern zuckten nicht einmal mit der Wimper. So so, wieder mal ein kleiner Briegel. Na, du süßer, kleiner Briegel, wie geht es dir denn?
Die Menschen nennen ihre Kinder seit jeher nach anderen, bedeutenden Menschen, stets in der Hoffnung, ein wenig von deren Größe möge sich immerhin auf die kommende Generation übertragen. Der Nationaltrainer Albaniens heißt Briegel, genauer: Hans-Peter Briegel, doch dieser Buchstabenhaufen mit dem Bindestrich vor dem klingenden Namen Briegel interessiert in Albanien niemanden. Sie hören das Schnurren im Anlaut, das Lächeln in der Mitte und das weiche Ende. Sie sehen den Mann, ehedem „Die Walz aus der Pfalz“, wie er am Platz steht und das einst so erfolglose Team Albaniens in neue Höhen führt, jetzt ans Tor zur EM 2004. Sie fühlen: Hier wirkt das Große, und der Name des Großen ist Briegel.
Es sind dies die schönsten Geschichten, die der Fußball erzählen kann, auch, weil sie den Tag überdauern. Dereinst wird man beim Durchsehen der albanischen Geburtenlisten des Jahres 2003 den Vornamen Briegel finden, Briegel Nano, Briegel Rraklli, und immer so fort, und man wird sich an die Zeit erinnern, als der albanische Fußball wuchs. Und dann, in dieser fernen Zukunft, werden die Menschen in Albanien eine tiefe Dankbarkeit dafür empfinden, dass auf wundersame Weise niemals Rudi Gutendorf Trainer in ihrem schönen Land war.
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