süddeutsche vom 10.11.2002 19:33
Die Schiedsrichter im Kreuzfeuer der Kritik
Düsseldorf (dpa) - So laut war das Zeter- und Mordio-Geschrei in der Fußball-Bundesliga über die Schiedsrichter lange nicht mehr. Mit dem Bremer Angelos Charisteas und Ronny Thielemann (Cottbus) erhöht sich die Rotsünder-Kartei am 12. Spieltag auf fünf - ein neuer Saisonrekord.
Besonders die drei Roten und zwölf Gelben Karten der Unparteiischen in den emotionsgeladenen Duellen zwischen Spitzenreiter Bayern München und Verfolger Borussia Dortmund (2:1) sowie Schalke 04 und Bayer Leverkusen (0:1) lösten Wut und Zorn aus.
«Katastrophal», fluchte der vom Platz geflogene BVB-Schlussmann Jens Lehmann über den «blindesten Schiedsrichter», den er je erlebt hat. Sein Name: Michael Weiner aus Hildesheim. Auch Dortmunds Manager Michael Meier empfand die Spielleitung des Niedersachsen - er zeigte zudem Nationalspieler Torsten Frings den roten Karton, beließ es aber bei der überharten Attacke von Bayern-Torjäger Giovane Elber gegen Lehmann bei Gelb - als «Provokation» und parteilich.
«Das Spiel war für den Schiedsrichter schwer zu leiten. Für mich hat Michael Weiner seine Sache recht gut gemacht», sagte Volker Roth, Schiedsrichterobmann des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), am Sonntag. Allein bei der Attacke von Elber hätte man anders entscheiden können. «Darüber kann man diskutieren. Ich kann aber mit den getroffenen Entscheidungen leben», meinte Roth, «die Platzverweise waren berechtigt und das 2:1 der Bayern korrekt.» Die Pöbeleien von Lehmann gegen Weiner (Lehmann: «Ich habe einen aggressiven Ton gewählt») könnten sogar noch ein Nachspiel haben. «Wenn der Schiedsrichter beleidigt wurde, ist das sicher festgehalten worden. Dann muss der Kontrollausschuss aktiv werden», erklärte Roth.
Nicht minder groß war die Empörung über Referee Franz-Xaver Wack (Biberach) bei Schalke 04, das ihn für die Niederlage gegen den Erzrivalen aus Leverkusen verantwortlich macht. Allerdings zu Unrecht. «Das ist ein Skandal», wetterte Schalkes Kapitän Tomasz Hajto über den entscheidenden Foulelfmeter für Bayer in der 88. Minute. Wack hätte die Partie unterbrechen müssen, weil ein Leverkusener Spieler im Strafraum lag, argumentiert Hajto. Stattdessen ließ er weiterspielen: Bayer-Stürmer Thomas Brdaric nutzte die Chance, rannte los und konnte nur durch eine Notbremse von Schalkes Keeper Frank Rost, der dafür Rot sah, am Einschuss gehindert werden.
«Es war geradezu ein Lehrbeispiel für passives Abseit», verteidigte sich Wack. Ein Spieler, der am Boden liege, könne nicht ins Geschehen eingreifen. Und es wäre fatal gewesen, «Leverkusen den Vorteil zu nehmen, nur weil einer ihrer Spieler am Boden liegt». Ein Besonnen reagierte in aufgeladener Atmosphäre Schalke-Trainer Frank Neubarth auf den kleinlichen, aber korrekten Unparteiischen: «Am Schiedsrichter lag es nicht, dass wir verloren haben.»
Dass der VfB Stuttgart mit dem 3:2 gegen den VfL Bochum auf den dritten Tabellenrang vorrückte, geht nach Ansicht des Aufsteigers auf Konto von Schiedsrichter Florian Meyer. «Äußerst kurios» befand VfL- Chefcoach Peter Neururer die Leistung. Konkret monierte er den Elfmeter für Stuttgart, der zum 2:2 führte: «Das war kein Elfmeter. Sören Colding hat versucht, die Hand wegzuziehen.» Auch das 3:2 sei regelwidrig und aus dem Abseits erzielte worden. Dass der FIFA- Referee insgesamt sieben Gelbe Karten für Bochum zog, brachte das Fass für Neururer zum Überlaufen: «Der hat uns jeden Zahn gezogen.»
Um dem Schiedsrichter ja nicht unangenehm aufzufallen, ließ es Regisseur Stefan Effenberg im Dress vom VfL Wolfsburg ruhig angehen. Auch ohne seinen vollen Einsatz reichte es, Werder Bremen mit einem 3:1 den geheimen Traum vom Titel zu zerstören. Der Grund für «Effes» Zurückhaltung: Nach vier gelben Karten drohte ihm eine Sperre, die er vor dem Gastspiel bei seinem alten Arbeitgeber Bayern München am Samstag unbedingt vermeiden wollte.
Kaum Beschwerden über die Unparteiischen gab es bei den Sonntags- Spielen: Im Kellerduell gegen Schlusslicht Energie Cottbus erzielte Borussia Mönchengladbach beim 3:0 (3:0) bereits bis zur 22. Minute alle Treffer und trat den 16. Tabellenrang an Arminia Bielfeld ab. Der berechtigte Platzverweis für Energie-Mittelfeldspieler Thielemann nach wiederholtem Foulspiel sorgte nicht für Diskussionen. Anschluss an die UEFA-Cup-Plätze hält Hertha BSC: Die Berliner besiegten Hansa Rostock mit 3:1 (2:1).
Nicht nur in Gelsenkirchen entschied ein Treffer die Partie: Der Hamburger SV stoppte den Vorwärtsdrang des Tabellenvierten 1860 München durch ein Tor von Rodolfo Cardoso. Gebremst wurde die Aufbruchstimmung des 1. FC Kaiserslautern durch Aufsteiger Hannover 96: Kein anderer als Fredi Bobic sorgte für den Siegtreffer. «Es ist fünf vor Zwölf», meinte der Pfälzer Torwart Georg Koch. Fortgesetzt hat der 1. FC Nürnberg die Talfahrt in den Bundesliga-Keller des Rekordaufsteiger Arminia Bielefeld. Für das Tor des Tages sorgte FC- Stürmer Martin Driller.