Klepper im Zeittunnel
Sieben Monate vor Saisonende plant Cottbus den „ehrenhaften Abstieg“
Mönchengladbach – 226 Tage sind eine lange Zeit. So lange dauert es, bis die laufende Bundesligasaison beendet ist. Noch 22 Partien müssen die Klubs in den kommenden sieben Monaten absolvieren, um ihren Meister zu finden, die Teilnehmer für Champions League und Uefa-Cup und jene Unseligen zu ermitteln, die im kommenden Jahr nur noch in der Zweiten Liga mitspielen dürfen. Nichts ist entschieden – nur in Cottbus dürften die Blätter demnächst unerträglich langsam vom Kalender fallen. Denn früh wie selten scheint das Schicksal des FC Energie festzustehen; die Fahrt durch einen langen, dunklen Zeittunnel beginnt.
Neun Punkte beträgt der Abstand auf einen Platz, der den Verbleib in der Bundesliga sichern würde, und nichts deutet darauf hin, dass dieser Rückstand noch aufgeholt werden könnte. Wie ein trauriger Klepper zockelt Cottbus in der Bundesliga dem Feld hinterher, und selbst Energie-Präsident Dieter Krein hat die Hoffnung auf famose Aufholjagden längst aufgegeben. „Es wäre Blödsinn, zu sagen: Das schaffen wir noch“, meinte er nach der 0:3- Niederlage in Mönchengladbach. Nun ist es zwar mehr als ungewöhnlich, sich so früh aus der Bundesliga zu verabschieden, zeugt aber von Realitätssinn. Nur fünf Punkte hat Cottbus bislang gewinnen können, in zwölf Partien gelang nur ein Sieg. Seit diesem einsamen 3:1-Erfolg in Hannover sind auch schon wieder zwei Monate vergangen. Zehn Stunden lang hat das Team kein Tor mehr erzielt, aber insgesamt schon 26 Gegentreffer hinnehmen müssen.
Selbst beim Drittletzten der Tabelle in Mönchengladbach war Energie Cottbus nicht annähernd konkurrenzfähig. Einen erbarmungswürdigen Eindruck hinterließ die Mannschaft und war schon nach 23 Minuten und drei Gegentreffern besiegt. „Die pennen hier so rum, dass auch ein Sechzigjähriger die Tore machen könnte“, grollte Krein. Cottbus wird es in dieser Saison wohl nur noch momenthaft vergönnt sein, in der Bundesliga mitzuhalten. Am Bökelberg offenbarte der Erstligist aus dem Osten bestenfalls unteres Zweitliga-Niveau.
Tropfnass in der Kurve
Wenig ist zudem übrig geblieben von jener zähen Kampfkraft, mit der die Mannschaft von Eduard Geyer zwei Spielzeiten lang die Vorteile der Konkurrenz ausgleichen konnte. „Ich will, dass ehrenhaft um jeden Punkt und jeden Meter gekämpft wird“, fordert Krein. Denn längst geht es nur noch darum, halbwegs würdig durchs Spieljahr zu kommen. Nur auf diese Weise kann der Klub verhindern, dass die Saison zu einem völli-gen Debakel wird und sich das Publikum in Scharen abwendet. Mitgefühl hatte der Präsident daher vor allem mit der traurigen Hundertschaft von Anhängern, die am Sonntag 650 Kilometer quer durchs Land gefahren waren, um in der unüberdachten Kurve tropfnass vor sich hin zu leiden – ohne Signale der Hoffnung vom Rasen.
Die Verträge von fünf Profis hat der Klub bereits aufgelöst. Damit ist der aufgeblähte Kader zwar reduziert, zur Wende im Abstiegskampf hat es jedoch nicht geführt und Krein interpretiert die Personalpolitik als Schritt in die Zukunft. „Ehrlich gesagt, hat der Neuaufbau doch schon längst begonnen“, meint er. Dass auch ehemalige Leistungsträger wie Miriuta und Akrapovic aussortiert wurden, geschah in Absprache mit dem Trainer. So soll es weitergehen, denn eigentlich möchte der Noch-Bundesligist auch den Aufbau eines neuen Teams Eduard Geyer übertragen. „Wir müssen nur die Überzeugung gewinnen, dass auch er das will“, sagt Krein. Überzogen sind seine Ansprüche an den Coach nicht.
Zumindest „ehrenhaft absteigen“ soll die Mannschaft, „und die Chance haben, in der Zweiten Liga zu bestehen“. Damit verbindet der Klub nicht einmal die Perspektive eines sofortigen Wiederaufstiegs, sondern zunächst einmal soll nur ein Totalabsturz verhindert werden. „Selbst erfahrene Profimannschaften mit viel mehr Tradition haben doch bewiesen, wie weit man nach unten fallen kann“, sagt Krein. Es soll halt weiter Profifußball in Cottbus geben, in diesem „kleinen Fußballdörfchen“ (Krein), das in der dritten Saison nicht mehr trotzig ist. „Meinen Vertrag werde ich zumindest bis zum Saisonende erfüllen“, sagte Geyer am Sonntag. Wahrscheinlich will er abwarten, wie der Klub und seine Anhänger damit zurecht kommen, eine lang andauernde Abschlusstournee zu unternehmen. Denn die Tage in Cottbus werden nun quälend zäh vergehen, und aus diesem Leid könnte noch viel Unruhe entstehen.
Christoph Biermann
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