SZ-Artikel über den Jahnplatz

  • Rückkehr der eiligen Fußgänger


    Plätze in NRW: Der Jahnplatz in Bielefeld soll mehr sein als ein Verkehrsknotenpunkt, aber die Planer tun sich schwer


    Bielefeld – Der Bielefelder Jahnplatz lag einst beschaulich vor den Toren des hufeisenförmigen alten Stadtwalls. Ein wilhelminischer Verweil-Ort damals; ein Verkehrsplatzhalter heute, an dem sich fast alle U-Bahn- und Buslinien der Stadt treffen und zwei wichtige Ausfallstraßen aufeinander prallen. Zu Kaisers Zeiten stand hier, bis zu ihrem Einschmelzen für Hitlers Panzer, zwischen altem Baumbestand, Pickelhaubenkiosk und gutbürgerlichen Hotels die Büste des Turnvaters Friedrich Ludwig Jahn. Vor ein paar Jahren wollten die Bielefelder das Jahndenkmal wiederhaben: als Zeugnis jenes liberalen Geistes, der das Bürgertum ihrer Stadt schon immer ausgezeichnet habe. Vergeblich. Und doch ist für die Bürger der Jahnplatz immer noch das Wohnzimmer der Stadt. Obwohl sie in diesem Wohnzimmer bis heute noch nicht wieder die Beine hoch legen können.


    1932 amtlicherseits zum offiziellen „Ortsmittelpunkt“ erklärt, ist der Jahnplatz im kollektiven Bewusstsein der Bürger derart zentral verankert, dass vor zehn Jahren ein Aufschrei durch die Bevölkerung ging angesichts der Frage, welcher Art denn die Kunst sein sollte, die seinen (zumindest wieder zu einer Art Platz) rekonstruierten Fußgängerbereich nun schmücken solle. Die Bürger wollten zwei Dinge: eine Uhr, schon weil vor der Sanierung auch dort eine stand. Und einen Brunnen. Bekommen haben sie bloß die Standuhr.


    Doch niemand verabredet sich zu ihren Füßen. Dafür gibt es andere Plätze in Bielefeld: den Kesselbrink, der früher als Viehweide („Kättelbrink“) sowie Exerzier- und Rummelplatz genutzt wurde und heute als Busbahnhof und Parkplatz dient; dann den Alten Markt, den Mini-Römer der Altstadt, der nur während des Wein- und Weihnachtsmarktes zum Leben erwacht; den Klosterplatz, die gepflasterte innerstädtische Event-Wiese samt angrenzender Biergärten und Amüsierbetriebe.


    Trotz alledem – in Bielefeld, wo (Leinen-)Handel immer auch Wandel bedeutete, verweist gerade der Jahnplatz durch seine exponierte Lage auf jenen Mangel an öffentlichem Raum, an dem die Menschen sich einem träumerisch-urbanen Laissezfaire verschreiben könnten. Der Jahnplatz liegt nämlich genau zwischen der Altstadt und dem seit Beginn der Industrialisierung ihm vom Hauptbahnhof zugewachsenen Viertel, das als Neustadt oder Bahnhofsseite heute die großen Kaufhäuser und Bankinstitute beherbergt. Südlich des städtischen Wohnzimmers residiert zwischen Gässchen-Romantik und den letzten Accessoires vergangener Baustile der gehobene, alteingesessene Einzelhandel.


    „Stadtmöblierung“


    Lange Jahrzehnte hatte der Jahnplatz nur als Verkehrskalamität Eingang in den Sprachgebrauch gefunden; leidend unter einer Baugesinnung, die den Fußgänger als zu vernachlässigenden Faktor der Planungsvorhaben zu betrachten schien. Und die hatten es in Bielefeld dank der ab den 70ern wirkenden Baudezernenten immer in sich: Kahlschlagvisionen des Amtsinhabers Jürgen Hotzan („Stadtmöblierung“) und die „Metropolen“-Träume Florian Mausbachs („In Bielefeld wird viel zu niedrig gebaut“) waren mitverantwortlich dafür, dass die Universitätsstadt 1979 eine „Bunte Liste“ ins Rathaus einziehen sah, die Häuserabriss und Straßenbau zum Wahlkampfthema gemacht hatte.


    Dass die Gestaltung des Platzes nach dem Krieg untrennbar mit der Verkehrs- und Baupolitik der Stadt verbunden ist, passt da ins Bild. Während er bis in die 20er Jahre hinein eine friedliche Oase war, obwohl seit Beginn des letzten Jahrhunderts Straßenbahngleise sein Pflaster teilten, steht seine Architektur seit dem Wiederaufbau eindeutig unter dem Primat der „autogerechten Stadt“.


    Gustav Engel, der ehemalige Leiter des Bielefelder Stadtarchivs und Verfasser zahlreicher Arbeiten zur Stadtgeschichte, mahnte in den 50er Jahren die Planer: „Horcht, ihr Baumeister, auch auf die Stimmen, die aus der Tiefe der Zeit herauf klingen. Dann wird unsere Stadt schöner.“ Doch in die Tiefe hat man allenfalls die Fußgänger befördert. Der „Jahnplatztunnel“, in aller Kürze als gekachelte Scheußlichkeit zu beschreiben, war einst ein bundesweit beachtetes Modell. Luftbildaufnahmen aus jener Zeit zeigen den Jahnplatz als Schnittmusterbogen einer planerischen Kurzsichtigkeit, die alles, was keine Räder besaß, aus dem öffentlichen Leben verschwunden wissen wollte. Heute zeigt sich der Durchstich zum „Forum“ geadelt, großzügig und freundlich konzipiert.


    Der Umbau der Straßenbahn zur U-Bahn sowie der Bau der Stadtautobahn „Ostwestfalendamm“ schufen dann die Voraussetzungen, den Durchgangsfernverkehr auf dem Jahnplatz drastisch zu reduzieren und ihn stückweise für die Menschen zurück zu gewinnen. Dass das nur unzureichend gelungen ist, mag an jener Bielefelder Krankheit liegen, die Uwe Lahl, in den 80ern Umweltdezernent der Stadt, einmal in einem Aufsatz als „Interruptus Coccus Bielefeldis“ klassifizierte: „Der Interruptus ist eine sehr komplexe politische Erscheinung. Er baut sich langsam auf, führt zu einem sich stetig steigernden Erregungszustand der beteiligten Parteien und endet in einem vorher nicht bestimmbaren Abbruch des Projekts.“


    Statt den Platz als Ort der Begegnung vollständig zu rekonstruieren, ihn wieder als Verweil-Raum zu begreifen, der Blick und Seele öffnet und zur Kommunikation einlädt, ist man auf halbem Wege stehen geblieben. Die Fußgängerbereiche aus den verkehrslosen Einkaufszonen auf der Altstadtseite wie auf der Bahnhofsseite sind zwar in einem großdimensionierten, zur Straße hin sich abflachenden Überweg zusammengeführt worden, so dass die den Platz zerschneidende Wirkung der (nun reduzierten) Fahrspuren abgeschwächt wird – ein Sehnsuchtsort, der den Menschen für Augenblicke ihre Zeit zurück gibt, ist aus dem Jahnplatz trotzdem nicht geworden. Keine Bänke, nirgends. Keine Bepflanzung, kein Brunnen, keine Skulpturen. Nur die Uhr.


    Stattdessen skurril-riesige Bedachungen der Bushaltestellen; stattdessen ein die Sichtachse zum Rathaus und Stadttheater verstellender Pavillon, in dem genormte Pizza-Häppchen vertrieben werden – flankiert von Hamburger-Braterei und Bratwurst-Rondell vis-a-vis. Niemand flaniert hier. Dabei wäre dieser Ort, genau zwischen der langweiligen Bühne der beiden Fußgängerzonen, geradezu prädestiniert dafür. Vielleicht mit nur wenigen Maßnahmen wären auf beiden Seiten der Verkehrsspuren zwei sich ergänzende Plätze zu gestalten.


    Abgeschlossen wie sein Haus


    Nein, auf diesem Platz bleibt die Zeit nicht stehen. Hier bleibt der öffentliche Raum reduziert auf die Funktion, die bloße Fortbewegung zu ermöglichen, die nach der Umgestaltung allerdings in geordneteren Bahnen verläuft. Auf den Organismus Stadt bezogen, bedeutet allzu viel Ordnung jedoch einen Mangel an menschlichem Kontakt. Und den wünscht sich der Bielefelder, obwohl er gemeinhin „als abgeschlossen wie sein Haus und seine Wohnung gilt“, wie der Autor Friedrich Wilhelm Hymmen schon 1962 in einem Bildband über die „Großstadt am Teuteburger Wald“ festgestellt hat. Das belegt an schönen Tagen nicht zuletzt eine südeuropäisch anmutende Außengastronomie in der Altstadt, die jeden vom Ordnungsamt freigegebenen Winkel besetzt hält. Und auch wenn dem Ostwestfalen angeblich „das schöne, gehobene Mittelmaß des Sich- Bescheidens mit dem Erreichbaren“ (Hymmen) den Weg bestimmt – die Bielefelder Krankheit wünscht er sich ein für allemal ausgetrieben.


    JÖRG BUDDENBERG
    SZ-NRW
    http://www.sueddeutsche.de

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