Berliner Zeitung:
Schwindendes Vertrauen
Die Führungskrise des 1. FC Union verunsichert inzwischen auch die Sponsoren des Vereins
Matthias Wolf
BERLIN, 24. Oktober. Auf der Internetseite hat der 1. FC Union Berlin eine interessante Umfrage gestartet. Diese könnte selbstreinigenden Charakter haben, wenn sie denn einer von den Vereinsbossen ernst nehmen würde. Der Klub will von den Fans wissen, inwiefern die Querelen in der Führung sich auf die sportliche Leistungsfähigkeit niederschlagen. Der überwiegende Teil glaubt, der Streit in der Chefetage lässt auch die Angestellten in kurzen Hosen nicht kalt. Vier von zehn Fans sind sogar der Ansicht, eine Konzentration auf Fußball sei derzeit unmöglich.
Beeindruckendes Votum
Das Votum beeindruckt auch Mirko Votava. Hat der Trainer bisher behauptet, seine Spieler seien resistent gegen das vom Aufsichtsrat mit der Abwahl von Heiner Bertram angerichtete Chaos, so sagt er nun: "Die ganze Sache ist natürlich störend und lenkt ab. Es darf aber kein Alibi sein." Schon gar nicht, wenn es "ohne Frage fünf vor zwölf" ist, wie er sagt. Dem Letzten der zweiten Liga muss am Sonntag ausgerechnet gegen Tabellenführer Arminia Bielefeld die Wende gelingen. "Sonst gibt es hier keine Ruhe", weiß Votava. Er selbst dürfte auch nervös sein. Sein Job hängt am seidenen Faden. Die Spiele gegen Bielefeld und am Mittwoch im Pokal gegen Bayer Leverkusen sind seine beiden letzten Bewährungsproben.
Zumindest ein Sieg muss her, sonst wird der neue Präsident Jürgen Schlebrowski handeln: "Votava würde auch bei einer Niederlage gegen Bielefeld nicht entlassen", sagt er: "Aber wenn sich dann kein sportlicher Erfolg einstellt, werden wir mit ihm reden müssen." Das ist Szenario eins. Gefahr droht ihm auch durch die außerordentliche Mitgliederversammlung am 22. November. Dann, wenn Heiner Bertram durch die Hintertür wieder Präsident wird. "Herr Votava ist ein schwacher Trainer, mit dem Union da unten kaum rauskommen wird", sagt Bertram, der dem Coach wohl übel genommen hat, dass dieser sich gleich auf Schlebrowskis Seite geschlagen hat. Eine echte Zwickmühle für Votava, dessen erste Begeisterung für den neuen Vereinschef offenkundig schon der Ernüchterung gewichen ist.
Der Klubchef beeindruckte bisher nur durch Worte, allein Taten fehlen. "Ich habe weder sportlich noch wirtschaftlich Argumente", sagt er. Das klingt einleuchtend bei dem Chaos. Doch zuletzt konnte der zwischen Wohnort (Ostfriesland), Arbeitsstätte (Bochum) und Berlin pendelnde Präsident selbst vereinbarte Gesprächstermine mit dem Coach nicht halten. Was bleibt, ist Schlebrowskis Forderung nach einem Konzept des Trainers, die Votava irritiert: "Was heißt hier Konzept? Ich habe alles gesagt. Wir sind seit Wochen in der gleichen Situation, mit dem Rücken zur Wand. Ich kriege keine neuen Spieler. Und ich habe vor der Saison nicht alle verpflichten können, die ich wollte."
Ohne Gesichtsverlust
Gut informierte Kreise wollen wissen, dass Votava, auch geschockt von der Demission des Geschäftsführers Bernd Hofmann, Rücktrittsgedanken hegt und diese im kleinen Kreis angedeutet hat. Womöglich geht er bereits im Falle einer Niederlage gegen Bielefeld. Für ihn wäre es die Chance, dem Chaos in Köpenick ohne Gesichtsverlust zu entfliehen. Nach dem Absprung von Hofmann und Schatzmeister Friedrich ist Union kein funktionierender Verein mehr.
Laut Hofmann stehen Sponsoren vor dem Absprung, weil das Vertrauen in die neue Führung fehlt. So wird die Entwicklung auch beim Hauptgeldgeber BSR "mit Sorge um den Verein betrachtet", sagt Unternehmenssprecherin Sabine Thümler. Am Dienstag fordert die BSR, wie andere Sponsoren auch, bei einem Treffen mit Schlebrowski Aufklärung. Vorher, so Thümler, wolle man "nicht noch mehr Aufregung verursachen". Allerdings sei man froh, "dass unser Logo nur auf den Spielertrikots prangt und nicht auf den Hemden des Präsidenten und anderer aus der Vereinsführung".
Die Mannschaft gibt derzeit noch das beste Bild ab. "Die führen sich da oben auf wie die Kinder und zerfleischen sich, dass es eine Schande ist", sagt ein Profi, der nicht genannt werden will. Offiziell äußert sich nur Kapitän Steffen Baumgart. Er habe "schon einiges erlebt, aber so was noch nicht", sagt er. Generell habe er den Eindruck, "wenn es keine Probleme gibt bei Union, muss man zusehen, dass man sich schnell welche macht".