"Haben wir hier Krieg?"
Nach den schweren Ausschreitungen beim Spiel der deutschen U21-Auswahl in Istanbul drohen Gastgeber Türkei harte Strafen durch die Uefa. Mehrere DFB-Nachwuchskicker wurden im Anschluss an die hitzige Partie von türkischen Sicherheitskräften geschlagen, den Schiedsrichter verletzte ein Wurfgeschoss.
Hitzige Atmosphäre: "So etwas habe ich noch in keinem Stadion der Welt erlebt"
Istanbul - "Hier haben sich Dinge abgespielt, die nicht auf einen Sportplatz gehören", sagte der Uefa-Delegierte Tom A. Restall am Dienstagabend. Der Malteser hatte das Playoff-Rückspiel zur U21-Europameisterschaft im Sükrü-Saracoglu-Stadions mitverfolgt. Restall kündigte an, einen Bericht an die Uefa zu schicken. Am Mittwoch reagierte die Uefa und leitete ein Ermittlungsverfahren gegen den türkischen Verband ein. Der Vorfall wird am 4. Dezember verhandelt. Das Strafmaß reicht von einer hohen Geldstrafe bis zu einer Platzsperre.
Im Tunnel zu den Kabinen waren die deutschen Spieler nach dem 1:1 gegen die Türkei von Polizisten, Ordnungskräften und Sicherheitsbeamten geschlagen, getreten und übel beschimpft worden. "Haben wir hier Krieg?", rief DFB-Trainer Uli Stielike, "so etwas habe ich noch in keinem Stadion der Welt erlebt." Schon während der Begegnung waren die DFB-Kicker von vielen der 45.000 Zuschauer mit Münzen, Feuerzeugen und anderen Gegenständen beworfen worden. Die Deutschen hatten in der Nachspielzeit den Ausgleich erzielt und sich damit die Qualifikation für die U21-EM 2004 gesichert.
"Spieler von uns sind von Polizisten und Sicherheitskräften geschlagen worden. Der eine blutet, der andere hält sich in der Kabine ein Handtuch an den Kopf", sagte Stielike. Der Wolfsburger Maik Franz erlitt am linken Ohr eine Platzwunde, nachdem ihm ein Ordner mit einem Walkie-Talkie aufs Ohr geschlagen hatte. "Das war das schlimmste Spiel meines Lebens", stöhnte Franz.
Auch der Schiedsrichter wurde verletzt
"Mir hat ein Polizist vors Bein getreten", sagte Torschütze Benjamin Auer, der wegen der Blessur ebenfalls behandelt wurde. Selbst Schiedsrichter Michael Benes musste von DFB-Arzt Michael Preuhs am Kopf mit zwei Stichen genäht werden. Der Referee aus Tschechien war von einem der vielen Wurfgeschosse getroffen worden, die nach dem Ausgleich und dem unmittelbar darauf folgenden Schlusspfiff auf den Rasen prasselten. Bei seiner Auswechslung hatte eine Münze den deutschen Spieler Thomas Hitzlsperger (Aston Villa) am Hinterkopf erwischt.
Das entscheidende Tor war Auer in der dritten Minute der Nachspielzeit gelungen. Hätte der Mainzer Stürmer nicht getroffen, wäre die Partie verlängert worden. Den Führungstreffer hatte der für die Türkei spielende Schalker Hamit Altintop (68.) erzielt. Das Hinspiel hatte Deutschland am vergangenen Freitag in Leverkusen mit 1:0 gewonnen. Die Mannschaft ist die erste deutsche U21-Auswahl seit 1988, die sich für eine EM-Endrunde der besten acht Teams qualifizieren konnte.
Empörung über deutsche Spieler
In der türkischen Presse wurden die deutschen Spieler indirekt für die Ausschreitungen verantwortlich gemacht. Mit "übertriebener Freude" und "beleidigenden Gesten" hätten sie nach dem Ausgleichstreffer die türkischen Fans geradezu provoziert, hieß es. Die älteste türkische Tageszeitung "Cumhuriyet" vertrat hingegen ein andere Position: "Die Fans haben getan, was sie nicht lassen konnten." Bedauerlich sei, "dass wir wieder als die 'barbarischen Türken' dastehen."
Scharf kritisiert wurde auch Stielike. Der deutsche Coach hatte es als "ungemein respektlos" empfunden, "dass wir zwei Millionen Menschen in Deutschland Arbeit geben und dann vor dem Spiel bei unserer Nationalhymne gepfiffen wird". Der türkische Trainer Rasit Cetiner forderte Stielike auf, beim Fußball zu bleiben und nicht die Politik ins Spiel bringen. Der Chef des türkischen Fußballverbands, Haluk Ulusoy, nannte Stielikes Äußerungen "hässlich".
"Bitter für das türkische Volk"
"Ich habe mich nicht beherrschen können", gestand der türkische Ersatzspieler Beyhan Sümer, der wegen seines handfesten Einsatzes auf dem Spielfeld die Rote Karte gesehen hatte. "Aber ganz sicher habe ich den deutschen Torwart nicht geschlagen." Als Rechtfertigung für seine "Unbeherrschtheit" führte Beyhan Tim Wieses "freche" Gesten an. Dennoch räumte Beyhan ein: "Was ich getan habe, war nicht richtig."
"Wenn sich Polizisten wirklich Übergriffe geleistet haben, dann ist das bitter für das türkische Volk", sagte Torschütze Hamit Altintop. Der Bundesliga-Profi hatte das Aus auch am Mittwoch noch nicht ganz verkraftet. "Die Enttäuschung ist sehr groß. Wir hatten große Hoffnungen und Erwartungen. Wir waren die bessere Mannschaft, aber die Deutschen haben sehr clever gespielt", so Altintop.
Türkei - Deutschland 1:1 (0:0)
1:0 Hamit Altintop (69.)
1:1 Auer (90.)
Türkei: Demirel - Cetin, Toraman, Özbay (59. Bayar) - Usta, Inceman, Sahin, Balci - Hamit Altintop, Aslan (46. Kaloglu) - Halil Altintop
Deutschland: Wiese/1. FC Kaiserslautern - Görlitz/1860 München, Franz/VfL Wolfsburg, Schlicke/Hamburger SV (89. Preuß/Eintracht Frankfurt), Lahm/VfB Stuttgart - Tiffert/VfB Stuttgart, Balitsch/Bayer Leverkusen, Broich/Wacker Burghausen, Hitzlsperger/Aston Villa (72. Riether/SC Freiburg) - Hanke/Schalke 04 (61. Auer/FSV Mainz 05), Lauth/1860 München
Schiedsrichter: Michal Benes (Tschechien)
Zuschauer: 45.000
Gelbe Karten: Toraman, Hamit Altintop, Usta / Lahm, Tiffert