Ich schreibe hier einen persönlichen Erlebnisbericht über das Verhältnis der Schweiz zum Nachkriegs-Deutschland.
Ich beginne im Jahre 1954, Fussball-Endspiel in Bern Deutschland – Ungarn 3:2 bei strömendem Regen, vor 60 000 Zuschauern. Ich mag mich noch genau erinnern, war damals 10-jährig, ich sass mit meinem Vater vor dem neu gekauften Radio (übrigens ein deutsches Qualitätsprodukt, Marke Graetz, gibt es heute sicher nicht mehr, der Radio kostete damals fast ein Monatsgehalt eines Angestellten, Fernsehen gab es noch nicht), unsere Köpfe fast im Radio drin. 90 Prozent der Schweizer wünschten sich die Ungarn als Sieger, weil noch viele Ressentiments gegen die Deutschen aus der Zeit des 2. Weltkriegs vorhanden waren, und Ungarn auch eine kleine Nation war und zu dieser Zeit mit Abstand den besten und schönsten Fussball spielte (Puskas, Hidegkuti, Grosic, Kocsis, Toth). Die Deutschen lebten eher von Kampf und Krampf (trotz Fritz Walter).
Als das 3:2 für die Deutschen fiel, und der legendäre Reporter Herbert Zimmermann fast ausflippte (man hätte meinen können, man sei im 2. Weltkrieg, tönte wie im 3. Reich), hörte ich meinen Vater sagen „oh, diese Sauschwaben“! Der Ausdruck „Sauschwabe“ ist der schweizerische Schimpfausdruck für alle Deutschen, nicht nur Baden-Württemberger, in Extrem-Situationen (Sorry an alle). Als dann bei der Siegerehrung Tausende von deutschen Schlachtenbummler das Deutschland-über-alles-Lied anstimmten (mit der verbotenen Strophe), schaltete sich das Schweizer Radio einfach aus !!!!
Mein Vater stand im 2. Weltkrieg zirka total 2 Jahre an der Grenze gegen Deutschland und musste sein Land gegen einen Einfall von Norden schützen. Im Bodenseegebiet hörte man damals den Spruch: „Die Schweiz, das alte Stachelschwein, das nehmen wir zum Frühstück ein“. Die ganze 3.-Reich-Propaganda prasselte jahrelang auf die Schweiz ein. Wir waren jahrelang isoliert, eingeschlossen, von Deutschland (Hitler), Italien (Mussolini), Frankreich war von den Deutschen besetzt und Oesterreich kam 1938 heim ins Reich. So war damals die Situation. Der Rhein war für den Warentransport gesperrt und die Schweiz musste schauen, wie sie überlebt. Damit die Selbstversorgung mit Lebensmitteln einigermassen klappte, gab’s die sogenannte „Anbauschlacht“. Jeder Fussballplatz, und noch das kleinste Stück Land wurde in Aecker umgewandelt, und Getreide gepflanzt. Natürlich waren Fleisch, Oel, Fett, Zucker und anderes streng rationiert.
Zeitsprung in die 60er-Jahre.
Ich arbeitete und wohnte damals in Zürich. Die erste Einwanderungswelle kam, vor allem Deutsche und Italiener kamen in die Schweiz und fanden gutbezahlte Jobs. Viele Schweizer hatten damals mit den Deutschen gewisse Probleme, denn die Deutschen kamen, wussten alles besser, konnten alles besser, viele hatten eine etwas unsympathische Oberlehrer-Mentalität. Wir Schweizer sind ja auch nicht gerade die Deppen Europas, sonst hätten wir nicht solchen wirtschaftlichen Erfolg, wir mussten alles mit Geist und Händen erarbeiten. Wir haben keine Bodenschätze wie Oel, Kohle oder Gold, rein nichts, nur hohe Berge und viel Wasser. Dafür mussten wir als kleines Land schulisch gut sein, Fremdsprachen lernen und uns immer anstrengen und viel arbeiten. Darauf fusst eigentlich unser Wohlstand. Zurzeit merken wir die wirtschaftliche Flaute natürlich auch.
Mit der Zeit besserte sich das Verhältnis zu den hier lebenden Deutschen. Viele wurden eingebürgert, weil sie eine neue Heimat fanden oder eine Schweizerin heirateten. Viele ehemalige Deutsche wurden bessere Schweizer als wir selber. Kaum waren sie Schweizer waren sie auch für einen Fremdarbeiter-Stopp!
Gab damals einige Volksabstimmungen, die aber alle knapp abgelehnt wurden. Dieses Wochenende steht eine Volksinitiative „gegen Asylrechtsmissbrauch“ zur Abstimmung.
Heute hat die Schweiz zu Deutschland ein sehr freundschaftliches, entspanntes Verhältnis, Deutschland ist unser grösster Handelspartner. Dazu beigetragen hat die grosse Wandlung von Deutschland zu einer sehr stabilen Demokratie, und einige sehr grosse Politiker, die Deutschland im Ausland, also auch bei uns, zu sehr viel Ansehen gebracht haben, ich nenne hier unter anderen die Kanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt. Diese Männer überzeugten das Ausland vom neuen Deutschland und geniessen auch heute noch grosses Ansehen.
Damit schliesse ich meinen etwas persönlichen Meinungsbericht und wünsche allen alles Gute
über die Grenze!
Wir sitzen ja alle im gleichen Boot.