Tagesspiegel vom 16.12.2005 - Interview mit H. Meyer
Spricht für sich - schade das Meyer nicht mehr in Berlin ist.
„Wie will man mit ,Bild’ ernsthaft reden?“
Herthas früherer Fußballtrainer Hans Meyer über seine Erfahrungen mit dem Boulevardblatt
Herr Meyer, sind Sie geldgierig?
Wer sagt das?
In „Bild“ stand das Gerücht: Sie seien nicht zur Berliner Sportlerwahl im November gekommen, weil Sie nicht nur die Anreise aus Ihrem Wohnort Bad Hersfeld bezahlt haben wollten, sondern auch eine Extra-Gage.
Gerücht, sagen Sie? Ein Gerücht, das keiner je erwähnt hat? Das ist kein Gerücht. Das ist eine totale Erfindung.
Wie war es wirklich?
Der Pressesprecher von Hertha BSC hat mir zum ersten Mal drei Tage vor der Sportlerwahl von dieser Veranstaltung erzählt. Aber da hatte ich meiner Schwester schon versprochen, dass ich zu ihrem Geburtstag komme. Deshalb habe ich abgesagt. Ich muss mich immer wieder wundern über diese Berichterstattung. Nicht dass Sie mich falsch verstehen: Ob nun 300 Leute zusätzlich denken, der Meyer sei geldgierig, ist mir egal. Dabei geht es nur um Fußball. Aber ich gehe davon aus, dass bei viel, viel wichtigeren Themen genauso gearbeitet wird. „Bild“ manipuliert das Publikum. Das ist das Gefährliche.
Viele sagen: Das Blatt ist furchtbar, aber wir müssen mit ihm zusammenarbeiten.
Das spricht nicht für unsere Gesellschaft. „Bild“ schafft es, dass von 15 Menschen, die im Fußball arbeiten, 14 Angst haben, negativ erwähnt zu werden.
Bei Borussia Mönchengladbach haben Ihnen die Angriffe allerdings nicht geschadet. Die Fans haben im Stadion sogar Anti- „Bild“-Transparente aufgehängt.
Ja, aber die Leserzahl in der Region hat es nicht verringert. Es würde „Bild“ vielleicht drücken, wenn die Fans eine Woche lang ihre Zeitung nicht kaufen. Alles andere drückt sie nicht.
Wie viele Leute kennen Sie, die sich gegen die Zeitung auflehnen?
Ich glaube nicht, dass ein junger Trainer diese Möglichkeit hat. Ich war bei Mönchengladbach in einer günstigen Situation: Ich habe eine Mannschaft übernommen, die Letzter der Zweiten Liga war. Da konnte ich die Erwartungen in etwa erfüllen. Und ich wusste, dass Gladbach meine letzte Trainerstation werden sollte. Aber ein Trainer mit 35 kann doch nicht sagen: „Bild“? Die können mich mal …
Kann ein Bundesliga-Trainer seine Probleme mit „Bild“ ausleben?
Wenn es nur um meinen Ruf ginge – ja. Aber das, was man als Trainer sagt, hat eben eine besondere Bedeutung. Ein Reporter einer kleinen belgischen Zeitung hat mal zu mir gesagt: Herr Meyer, Sie trainieren mit Benjamin Auer das größte Sturmtalent seit Uwe Seeler. Darauf sagte ich: Benjamin Auer ist ein großes Talent, aber nur falsche Freunde vergleichen ihn mit Uwe Seeler. Der Reporter hat das wahrheitsgemäß aufgeschrieben. Zwei Tage später stand in „Bild“: Meyer mobbt Auer. Dass ich nicht gesagt habe: Jawoll, er ist ein Talent wie Uwe Seeler – das war mobben. Daraufhin müsste ich eigentlich dem 19 Jahre alten Auer erklären: Hör mal, das kommt nicht von mir. Eigentlich müsste man jeden zweiten Tag mit Spielern reden und sagen, dass etwas nicht so gemeint ist oder aus dem Zusammenhang gerissen oder gelogen.
Welche Konsequenzen haben Sie gezogen?
Ich habe mit dem Reporter der „Bild“, der offensichtlich kein Interesse an einer sachlichen Zusammenarbeit hatte, zweieinhalb Jahre nicht gesprochen. Kein Wort.
Haben Sie eine Aussprache gesucht?
Nein, aber „Bild“ hat zwei, drei Versuche gestartet. Etwas rausgekommen ist dabei nicht. Ich habe auch nie gesagt, dass ich generell nicht mit „Bild“ spreche. Ich weiß, dass der Reporter immer Teil eines Systems ist. Aber ich bin der Meinung, dass dieser Teil des Systems auch noch persönliche Aversionen einbringen kann. Und das war bei dem Reporter in Mönchengladbach der Fall. Auch bei seinem Vorgesetzten.
Dieser Vorgesetzte hat der „Süddeutschen Zeitung“ gesagt: „Ich kann den Meyer einfach nicht leiden, und wenn das dem Kollegen ähnlich gegangen ist, dann habe ich vollstes Verständnis.“
Bitte schön. Das kann doch keine Basis für Journalismus sein. Die Journalisten fühlen sich mit ihrem Blatt im Rücken in einer unglaublichen Stärkeposition. Und sie glauben, dass sie Trainer und Spieler gottgleich abstrafen könnten. Aber das Traurigste für mich ist, dass auch seriöse Blätter, solide und gute Journalisten, sogar Nachrichtenagenturen das abschreiben, was „Bild“ vorgibt – ohne noch einmal nachzufragen.
Was ist das Faszinierende an „Bild“?
So faszinierend finde ich die Zeitung nicht. Aber man muss ihr lassen, dass sie ausgezeichnet informiert ist. Sie haben ein unglaubliches System von Beziehungen und Abhängigkeiten aufgebaut, das natürlich auch einige Spieler für ihre Zwecke nutzen.
Haben Sie manchmal Verständnis für die Reporter?
Ich weiß doch, dass sie gnadenlos Schläge kriegen, wenn sie nichts liefern. Und ich weiß doch, wie langweilig es ist, drei Tage in der Woche bei einem Klub herumzulaufen, in dem nichts passiert. Manche sind trotzdem richtig übel und werfen den Leuten Knüppel zwischen die Beine, mit ihren Halbwahrheiten, ihren Übertreibungen und Verdrehungen.
Was war Ihre erste Erfahrung mit „Bild“?
Bei meiner Vorstellung in Gladbach hat mir der Journalist von „Bild“ die Frage gestellt: Herr Meyer, wieso haben Sie hier zugesagt? Ich habe ihm die Gründe genannt und nebenbei erwähnt: Ihr wisst ja, wo ich herkomme, aus dem Osten, und Kommunisten waren immer arm. Fast alle haben gelacht. Am nächsten Tag stand in „Bild“ „Meyer: Ich bin Kommunist“. Das ist lustig, aber wenn du wie ich in Bad Hersfeld mitten unter CDU-Wählern wohnst, ist es schwierig, sich zum Kommunismus zu bekennen.
Hat sich Ihr Verhältnis zu „Bild“ verändert, als Sie zu Hertha BSC gekommen sind?
Der Berliner Redaktionsleiter hat zu mir gesagt: Herr Meyer, was in Gladbach war, vergessen wir einfach. Einen Tag später wurde ich bei der Pressekonferenz gefragt, ob es denn richtig sei, die Spieler während der Mittagspause nicht mehr nach Hause zu lassen. Ich habe dann vorgerechnet, dass gerade eine halbe Stunde bleibt, wenn die Spieler zwischen zwei Einheiten nach Hause fahren. Vielleicht, so habe ich in der mir eigenen Art gesagt, genügen die Spieler in dieser Zeit noch ihrer ehelichen Pflicht. Von den zwölf anwesenden Journalisten haben zehn gelacht. In „Bild“ hat der Redaktionsleiter dann geschrieben: „Meyer empfiehlt Sex in der Mittagspause.“ Empfiehlt! Das ist doch hirnrissig. Wie will man mit Leuten von diesem Blatt ernsthaft reden? Ich habe da meine Probleme.
Welche Folgen hat diese Berichterstattung für die Wahrnehmung von Fußball?
Sie führt dazu, dass die Leute fußballblöd werden. Das Fachliche spielt überhaupt keine Rolle. Genauso wenig wie das Normale. Sieger werden zu Titanen gemacht, Verlierer zu Versagern, die angeblich nicht kämpfen und nicht wollen. Neulich haben so genannte Fans Vaclav Sverkos von Borussia Mönchengladbach mit Bier begossen und bespuckt. Von da bis zur brutalen Gewalt ist es nur noch ein kleines Stückchen.
Das Gespräch führten Stefan Hermanns und Friedhard Teuffel.