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Mädchen verhungert in Jenfeld
ZitatAlles anzeigenIn einer Hochhaussiedlung im Hamburger Stadtteil Jenfeld
ist ein siebenjähriges Mädchen in der Wohnung seiner Eltern
an Unterernährung gestorben. Die Mutter rief gestern früh
um kurz vor sieben Uhr die Rettungskräfte, weil ihr Kind ins Koma
gefallen sei. Doch der Notarzt kam zu spät: Das Mädchen war bereits tot.
Die Polizei stellte fest, daß die siebenjährige Jessica S. extrem abgemagert war.
Nur noch neuneinhalb Kilo wog das Kind am Ende. Die Mordkommission
hat die Ermittlungen übernommen, die Eltern Marlies Sch. (35) und
Burkhard M. (49) wurden festgenommen. Sie sollen heute dem Haftrichter
vorgeführt werden. Der Vorwurf: Tötung durch Unterlassen.
Eine triste Hochhaussiedlung im Brieger Weg. Die Wohnung im siebten Stock,
in der Jessica mit ihrer Mutter und deren Freund lebte, ist völlig verwahrlost.
Der Müll stapelt sich, der Boden ist mit Katzenkot verdreckt. Die Eltern
leben von Sozialhilfe. Nachbarn haben das Kind nie zu Gesicht bekommen.
Dem Notarzt erklärte die Mutter, Jessica sei in der Nacht krank
geworden und habe sich übergeben. Daraufhin habe sie das Kind
in das elterliche Bett geholt. Als die Frau am Morgen aufwachte,
lag Jessica regungslos zwischen ihren Eltern. "Meine Tochter liegt im Koma",
erklärte die Mutter über den Notruf. Tatsächlich war Jessica zu diesem
Zeitpunkt schon seit Stunden tot. Die Leichenstarre hatte bereits eingesetzt.
"Das Kind war völlig abgemagert und wies Spuren von Vernachlässigung auf",
berichtet ein Feuerwehrmann. "So einen Zustand erreicht man nicht
in einer Woche." Auch die Retter waren bestürzt über das, was sie
in der Wohnung zu sehen bekamen.
Die Obduktion in der Gerichtsmedizin offenbarte das Martyrium, das
das sieben Jahre und vier Monate alte Kind durchmachen mußte.
Durch die Unterernährung hatten sich im Darm des Mädchens
Verhärtungen gebildet. Jessica bekam einen lebensbedrohlichen
Darmverschluß. Als sie dann wieder etwas Nahrung zu sich nahm,
erbrach sie daran. Der völlig geschwächte Körper war nicht in der Lage,
so lange zu würgen, bis die Atemwege wieder frei waren.
Das Mädchen erstickte. Vorerkrankungen wurden bei dem Kind nicht festgestellt.
Im Raum steht nun die Frage, weshalb den Behörden die Vernachlässigung
des Kindes nicht aufgefallen ist. Eigentlich war die Siebenjährige schulpflichtig.
Doch in der Schule Oppelner Straße, die sie seit dem vergangenen
Sommer hätte besuchen müssen, tauchte sie nach Auskunft der
Bildungsbehörde nicht auf. Die Schule schaltete daraufhin die
zuständige Regionale Beratungs- und Unterstützungsstelle (Rebus) ein.
"Das ist der normale Weg", sagt der Leiter der Präsidialabteilung in der
Bildungsbehörde, Thomas John. "Rebus" bemühte sich vergeblich,
die Eltern zu erreichen und verhängte wegen der Schulpflichtverletzung
ihrer Tochter ein Bußgeld, das ebenfalls nicht bezahlt wurde.
Daraufhin passierte nichts. Das Jugendamt wurde nicht informiert.
"Wir sind darauf angewiesen, von den Schulen einen Hinweis zu bekommen,
wenn ein Kind über längere Zeit nicht zum Unterricht erscheint",
sagt Sonja Fessel, Sprecherin des Bezirksamtes Wandsbek. Das Jugendamt
könne nicht alles sehen, sondern sei auf "andere Augen angewiesen".
Auch die Nachbarn in dem blaugrauen Plattenbau haben von der Tragödie,
die sich in der obersten Etage abspielte, nichts mitbekommen.
An die kleine Jessica erinnert sich keiner der Bewohner. Nur der
Vater des Mädchens, Burkhard M., der mit der Mutter nicht verheiratet ist,
war einigen bekannt. "Morgens konnte man ihn oft im Supermarkt antreffen,
wo er sich Wodka holte", sagt ein Anwohner.
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