Eine kleine Nachtgeschichte. Nikolaustag 2020
Der frühe Arminenfan an sich und im Besonderen.
Mit der Zeit sah man sie dann unweigerlich irgendwie vor sich. Jedenfalls neigte man zur Klassifizierung. Irgendwie. Nach so vielen Beiträgen, die man von ihnen gelesen hatte...
Softies hier, Hardliner dort. Den einen sah man als vornehmlich über die rechte Hirnhälfte gesteuert, den anderen als eher über links. Jenen, vermutete man reichlich mit Synapsen versehen. Wieder einen anderen wähnte man fest in einer sehr strukturierten Welt verankert. Man sah sie in Birkenstocksandalen vor sich, in Nike Turnschuhen und als eisenbeschlagene Ledersolengänger unterwegs.
So unterschiedlich in der Art, eines verband sie alle: Zuneigung für Arminia.
Bedauerlicherweise ist der Fan jedoch nur selten genügsam. Das galt auch damals schon. Zuneigung schlechthin war vielen nicht genug. Irgendetwas im Menschen strebt scheinbar immer nach mehr. Und so trieb es denn etliche aus der Gruppe der Zugeneigten, der Sache (Arminia) noch zugeneigter sein zu wollen, als es die Masse der Zugeneigten schon war. Der etwas einfacher gestrickte Charakter, stellte den Grad seiner Zuneigung dann auch schon gerne mal handgreiflich gegenüber den Zugeneigten anderer Vereine unter Beweis. Dass dabei vorher häufig die eigenen Sinne und das Schmerzempfinden (man wusste ja nie so genau, an wen man geriet) mit Alkohol betäubt wurden, soll hier weder den Altruismus (man verteidigte natürlich nur die Farben des Vereins) noch die Mannhaftigkeit der handelnden Personen in Zweifel ziehen.
Im Forum musste man sich für eine Karriere in der Hierarchie der Zugeneigtheiten dann eher auf schlagende Worte besinnen. Das war so lange kein Problem, wie sich Zugeneigte anderer Vereine im Vorfeld eines Spiels in dieses Forum verirrten. „ Geh doch zuhause, du alte Schlacke“, fauchte man und fühlte man sich flugs wieder so erhaben, wie es einem gebührte.
Blieben diese Besuche aber aus, verkomplizierte sich die Lage ein wenig. Berichte über Heldentaten dort draußen (in der realen, harten Welt des Fußballfans), waren nicht immer verifizierbar und nutzten sich schließlich auch ab. Das brachte entsprechend wenig Punkte. Und dann gab es in dem Forum auch immer noch diese ignorante Fraktion, welche die Wertigkeit handfester Auseinandersetzungen mit gegnerischen Fans grundsätzlich nicht so recht zu würdigen wusste. Was tun? Und noch während sie überlegten, schickte uns doch der liebe Gott tatsächlich diesen vermeintlich sattelfesten Fußballliebhaber und Arminenfan 'Herford' vorbei. Jedoch, 'Herfords' Fußballsachverstand wurde von der Forumsgang ebenso schnell in Zweifel gezogen, wie seine Vereinszuneigungskompetenz gaaanz weit hinten in der Hierarchie eingeordnet wurde. 'Herford' schien das wenig zu jucken. Er stellte den besten Spielern der Arminia im Forum regelmäßig mangelhafte Zeugnisse aus, sobald er bei diesen auch nur im Ansatz Spielfehler ausgemacht zu haben glaubte. Die Gemeinde schrie auf, haute auf ihn ein. Doch darauf schien 'Herford' nur gewartet zu haben. Jetzt redete er auch noch unsere Siege schlecht. Von wegen 'äußerst glücklich gewonnen' und so. Die Angelegenheit eskalierte. Die Attacken wurden schärfer geritten. An diesem 'Herford' konnte man sich beweisen. Die Gelegenheit musste genutzt werden. Längst hatten sich die helleren Köpfe in die Beschimpfungen und Verwünschungen eingeschaltet. Einigen von ihnen durfte man echte Empörung unterstellen, konnte man sie sich doch auch ohne den Titel des 'am zugeneigtesten Zugeneigten' durchaus als halbwegs zufriedene Erdenbürger vorstellen. Aber der Dynamik dieser Auseinandersetzung konnte sich jetzt niemand mehr entziehen. Gelegentliche Aufrufe Besonnener, 'Herford' einfach zu ignorieren verhallten ungehört im virtuellen All. Andere forderten für 'Herford' einen eigenen Thread ein. Aber wie sollte das funktionieren? 'Herford' war allgegenwärtig. Er liess sich längst nicht mehr in irgendeinen Threadkäfig sperren. Unter jedem Spieltagsthread, unter jedem Thread eines Teammitglieds schlug 'Herford' zu. Und kam er, etwa von einem Auswärtsspiel, erst spät zurück, wurde schon seitenlang im Forum nach ihm gefragt. „Herford, wo bist du? Wo bleiben deine Banalitäten, Herford? Wo dein Pessimismus, deine Schänderein?“ Längst waren sie alle süchtig nach ihm, nach 'Herford'. Die Unsäglichen, mit dem hoch zu schnürenden Schuhwerk ebenso, wie die Birkenstocks, die Nikes und die, ihr wisst schon, die mit dem Eisenbeschlag unter den Solen. Und kaum hatte sich H. zurückgemeldet, zogen sie wieder vom Leder: „Bleib, wo du bist, Herford“ oder „Lass dich hier nie mehr blicken“. Und die Einfühlsamen (ob der von ihnen diagnostizierten mangelnden Intelligenz und zweifelhafter Charaktereigenschaften Herfords): „Du tust mir leid“
Doch dann sah es so aus, als würde die Geschichte, zumindest vorrübergehend, eine unerwartete Wendung nehmen:
Ein Zugeneigter des letzten Spielgegners der Arminia beklagte sich in dem Forum der Arminen glaubwürdig über die ihm und seiner kleinen Tochter im Stadion widerfahrene Gastfreundschaft der besonderen Art, seitens einiger hochgradig Arminia Zugeneigter. Die hieraus entstehende Diskussion schien uns 'Herford' vergessen zu lassen. Endlich. Zu haarsträubend aber auch, was einige Forumser da zur Sache des gegneriechen Fans von sich gaben. Eine 'Sache' (Sicherheit im Stadion, insbesondere für Kinder), der man - als wie auch immer geneigter - durchaus eine gewisse Wichtigkeit zugestehen konnte, ja, eigentlich musste. Doch was war das? 'Herford' höchst selbst schon wieder? Dieses war doch gar nicht seine Spielwiese. Wollte der sich etwa auch noch an solch einem Thema vergreifen? Dafür hatten wir doch andere Frühaufsteher (Ihr kennt den Spruch von Onkel Rapolder? Okay). Doch siehe da, 'Herfords' Verhöhnungen hochgezüchteten Fantums machten einer, der Ernsthaftigkeit des Themas durchaus angemessenen Argumentation Platz.
Man las, man staunte. Hätte man jedenfalls meinen sollen. Doch weit gefehlt. Nein, nein, Herfords 'Credibility’' (so sagte man damals) war natürlich längst verspielt. Den würde im Forum niemand mehr so lesen, wie es Herford vielleicht gerne gehabt hätte. Da konnte er noch so recht haben. Wäre ja noch schöner gewesen. Und man wusste natürlich auch zu jener Zeit schon, in welche Wortkleider diese Heuchler zu schlüpfen verstehen. „Zur Hölle mit Herford“ schrien sie weiterhin unbarmherzig. Und: „ Man sollte ihn kreuzigen". "Aaaber..." war ich versucht einzuwerfen, „ doch wohl nicht wirklich, oder? Nicht, dass ihm am Ende noch etwas passiert. Denn brauchen tun wir ihn schon noch, den 'Herford', nicht wahr? Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen.“
Und machen wir uns nichts vor. Im Grunde genommen, wussten sie es alle sehr wohl: So einfach würden sie sich selbst nie wieder derart erhaben erheben können (auch wenn es ein wenig schmerzte, zu sehen, wie 'Herford' im Gegenzug für seine vermeintliche Fußabtreter Rolle eine Menge Spaß für sich selbst abzapfte).
Tja, und wenn sie nicht gestorben sind, dann geht das wohl noch heut' so.
Liebe Kinder, so war das also damals im Forum der Arminia Zugeneigten. So, oder so ähnlich. Jedenfalls meine ich es so zu erinnern. Es könnte aber auch alles ganz anders gewesen sein...
Valdano