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Beiträge von Dorecan

    Teil 2:


    Wechselseitiger Respekt


    Auch wenn die „Ultras” keinen Spielerpersonenkult betreiben, gibt es Bundesligaprofis, die genau diese Form der Unterstützung schätzen. Der Schalker Torhüter Frank Rost, im Fall eines Rückzugs von Jens Lehmann womöglich als dritter Torhüter bei der WM, trägt auf dem Platz seit geraumer Zeit ein T-Shirt der „Ultras Gelsenkirchen” unter seiner Torwartkluft und trifft sich immer wieder mit Vertretern der Ultras. Als Rost vor einigen Wochen auf seiner Homepage über das Verhalten einiger Fans klagte, die ihn mit aggressiven Sprüchen wie „Wir zahlen dein Gehalt” im Alltag anmachten, versuchten die Boulevardmedien anfangs das Bild des arroganten Millionärs zu zeichnen - während in der Fanszene großes Verständnis für die Forderung nach höflichem Umgang und wechselseitigem Respekt artikuliert wurde.


    Wahrscheinlich wird Frank Rost auch deswegen so geachtet, weil er auf aufsehenerregende und gerade deshalb unglaubwürdige Loyalitätsgesten verzichtet. „Es widerstrebt mir, das Vereinswappen zu küssen”, sagt Rost. „Ich war auch nicht gleich Schalker, als ich aus Bremen nach Gelsenkirchen kam.” Im feinen Restaurant „Schloß Berge” nahe der jetzigen „VeltinsArena” bestellt er Scholle - er schätzt das gute Essen hier, das auch im Ruhrgebiet langsam die fettige Jägerschnitzel-Monokultur verdrängt. Der in Ostdeutschland aufgewachsene Torwart versteht sich mit den Ultras besser als mit den zum Starkult neigenden Modefans. „Die Ultras sind ganz normale Menschen, die sachlich mit dir reden. Ich weiß auch, was die für Entbehrungen auf sich nehmen.”


    Reingepfercht und reingeprügelt


    Für eine künstliche Fankultur, wie sie der DFB zur Weltmeisterschaft in Szene setzen möchte, hat Rost ebensowenig Sinn wie für Kunstrasen. „Wenn man so weit kommt, daß man offizielle Choreographen engagiert, dann ist der Fußball kaputt.” Ihm steht der harte Kern der Fans, „Leute mit Ecken und Kanten”, näher als jene Eventfans, die schon zur Pause zu pfeifen beginnen. „Wenn ein Pferd Temperament hat”, sagt der Ehemann einer Reiterin mit einem schönen Vergleich, „kann ich auch nicht sagen, es darf nicht ausschlagen, soll aber andererseits Ausstrahlung haben.” Daß die Ultra-Szene in jüngster Zeit wieder mit „Pauschalverurteilungen” von seiten der Politik leben müsse und zum Teil ins Stadion „reingepfercht und reingeprügelt” werde, hält er für absurd: „Diese Fans zahlen hohe Eintrittsgelder, um sich dann am Eingang die Unterhosen durchsuchen zu lassen.”


    Frank Rost hat im DDR-Fußball bei Lokomotive Leipzig und dem 1. FC Markleeberg eine „eher rustikale Ausbildung” genossen, wie er sie heute, da Jungstars schon nach wenigen Bundesligaspielen vom Trainer verhätschelt werden, ein wenig vermißt - ohne daß in dieser Sehnsucht der Ruf nach knallharter Disziplin mitklänge. „Fußball muß authentisch bleiben.” Rost kann auch die Angst der Ultras verstehen, ihr Milieu zu verlieren und durch jüngere Spaßfans an den Rand der Kurve verdrängt zu werden. Auch dies, sagt der Torwart, sei eine Frage fehlenden Respekts. Vielleicht kann nur ein Keeper, der die Hälfte des Spiels dicht vor der eigenen Kurve steht und das Geschehen oft wie ein Zuschauer verfolgt, die Fußballwelt mit den Augen der Fans sehen.



    Text: F.A.Z., 23.11.2005, Nr. 273 / Seite 46

    FAZ-Artikel: Fußballfans vom 23.11.05


    Teil 1:


    Fußballfans
    Sie können sich ihre Wappen selber basteln

    Von Andreas Rosenfelder



    23. November 2005 Noch in den späten achtziger Jahren kam niemand auf die Idee, Fußball als Teil der Popkultur zu betrachten. Damals traf man in einer ganz normalen Fankurve, die selten ausverkauft war, auf eine Monokultur von Röhrenjeansträgern mit Schnäuzer und Vokuhila.



    Der Durchschnittsfan trug einen meterlangen Häkelschal in den Vereinsfarben und mindestens einen Aufnäher auf der Jeansjacke. Über weite Strecken beherrschte ein von heiseren Schreien durchbrochenes Gemurmel das Klangbild, aus dem sich nur manchmal Gesänge herausschälten, in denen man den Gästefans meistens zu Rod-Stewart-Melodien unterstellte, unter Brücken oder in der Bahnhofsmission zu schlafen - und das war noch eine der diplomatischeren Botschaften.


    Man muß sich an diesen rauhen Urzustand erinnern, wenn im Vorfeld der WM nun jeder Theaterintendant seit Jahrzehnten eingefleischter Fußballfan gewesen sein will. Vor fünfzehn Jahren gab es noch keine Intellektuellenmagazine für Fußballkultur, sondern nur maschinengetippte und handkopierte Fanzines, die in den Halbzeitpausen verteilt wurden und die Vorfreude auf die berüchtigte „Dritte Halbzeit” anheizten. Daß sich Fußball zum hippen Gesamtkunstwerk entwickelt hat, das alle Gesellschaftsbereiche durchstrahlt, ist keineswegs nur den üblichen Verdächtigen wie Franz Beckenbauer, Nick Hornby oder dem Sender Premiere zu verdanken.


    Revolution in den Stadien


    Wesentlichen Anteil an der Wiederbelebung des lange Zeit als Proletensport verpönten Fußballs hatte die „Ultra”-Bewegung, die in den neunziger Jahren von Südeuropa nach Deutschland schwappte und die Atmosphäre in hiesigen Stadien revolutionierte. Die tribünenfüllenden Choreographien, die vor jeder Live-Übertragung als Stimmungsmacher eingeblendet werden und beim Stadionbesuch vor dem Anpfiff für unvergleichliche Gänsehaut sorgen, gäbe es ohne die „Ultras” nicht.


    Daß nun Sicherheitsexperten und zweifelhafte Fansoziologen mit Begriffen wie „Hooltras” das Bild einer diffusen Bedrohung aus den Fanblöcken zeichnen und daß Reporter in jedem Bengalfeuer ein Vorzeichen des Bürgerkriegs ausmachen, während gleichzeitig der DFB mit dem offiziellen „Fan Club Nationalelf” den lächerlichen Versuch unternimmt, in der Retorte eine keimfreie Fankultur heranzuzüchten - dieser kritische Punkt in der jungen Geschichte der deutschen Ultras sollte Anlaß geben, ihren Standort zu bestimmen.


    Tradition und Avantgarde


    Wie bei vielen Jugendkulturen führt auch der Weg zu den Ultras über eine Negation. So verkörpert die urige Fankneipe „Auf Schalke” an der Kurt-Schumacher-Straße 119 in Gelsenkirchen - ein holzvertäfeltes Museum für Fanschals und Trikots - all das, was die Ultras nicht sein wollen. Hier sitzt der „Schalker Fanclub Verband”, der fast zwölfhundert Schalke-Fanclubs mit rund fünfundzwanzigtausend Mitgliedern zusammenfaßt. Im Gegensatz dazu haben sich die Ultras immer als Avantgarde verstanden: In Gelsenkirchen zählen sie rund achthundert Mitglieder.


    In der Südtribüne der alten Glückauf-Kampfbahn, ebenfalls an der Kurt-Schumacher-Straße, sitzt das „Schalker Fanprojekt”. Der selbständige Designer Jan Klaffke und der Jurastudent Thomas Kirschner, beide fünfundzwanzig Jahre alt, sind die Vorsitzenden der „Ultras Gelsenkirchen” und waren schon in den späten Neunzigern dabei, als in der Schalker Kurve die ersten Choreographien auftauchten. Nach Deutschland übergesprungen war der Funke in Leverkusen, wo die „Madboyz” schon 1994 beim Uefa-Cup-Spiel gegen den FC Parma mit Pyrotechnik und Großschwenkfahnen experimentierten und das damals unscheinbare Ulrich-Haberland-Stadion in einen Hexenkessel verwandelten.


    Das Ende der Kuttenkultur


    Während, wie Klaffke sich erinnert, vorher die „Kuttenkultur aus dem Proletariat” die Stadien prägte, stammen die Ultras überwiegend aus „gutbürgerlichen Kreisen”. Eine wichtige Rolle bei der Aneignung der neuen Fankultur spielten das Deutsche Sportfernsehen mit seinen Übertragungen aus südlichen Ligen und das Internet, wo man auf Audiodateien mit neuartigen Fangesängen stieß, die alte Brüller wie „Zieht den Bayern die Lederhosen aus” verblassen ließen. Eines der deutlichsten Merkmale der Ultra-Kultur ist die Ersetzung des Schlachtrufs „Ole” durch „Allez” - auch wenn diese feine Lautverschiebung, wie Kirschner abwinkend feststellt, beim breiten Publikum längst noch nicht durchgedrungen ist.


    In Italien existierte die „Ultra”-Bewegung, die für ultimative Unterstützung des Heimatvereins auch bei Auswärtsfahrten eintrat, seit den sechziger Jahren. Viele ihrer Formen - das Megaphon des „Capo”, der als „Kopf” der Kurve die Gesänge vorgibt, oder die mit zwei Stangen getragenen Doppelhalter - wanderten aus der Protestkultur in die Stadien. So spielten die „Brigate Rossonere” des AC Mailand mit ihrem Namen nicht nur auf die Vereinsfarben Schwarz-Rot, sondern auch auf die Roten Brigaden an. Auch wenn die „Ultra”-Szene nie politisch festgelegt war und es in Italien immer sowohl rechte als auch linke Kurven gab, verband sie doch der Wille, die Autonomie der Fanblöcke zu verteidigen. Man lehnte Trikots und kommerzielle Fanartikel ab, um statt dessen in Zivil zum Spiel zu kommen und alle für den „Support” wichtigen Gegenstände selbst zu basteln.


    Small talk hält sich in Grenzen


    Mit der üblichen Fanfolklore hat dieser unabhängig von Sponsoring und Vereinsgeldern hochgehaltene Anspruch, „die Stadionatmosphäre optisch und akustisch zu verbessern”, nicht viel gemein. „Wir sehen die Spieler nicht als Idole an, mit denen man Arm in Arm fotografiert werden will”, erklärt Klaffke. So spielt Small talk über das Privatleben der Profis oder die optimale Aufstellung natürlich auch bei den Ultras eine Rolle, hält sich aber in Grenzen. „Ich kann nicht beeinflussen, wer in der Viererkette spielt”, sagt Klaffke. „Wir können aber die Farben zeigen, die wir hochhalten.” Auch Kirschner betont den expressiven Wettbewerb, den die Ultras unterschiedlicher Vereine mit ihren Choreographien führen - und der das gewaltsame Austragen der Konkurrenz nach dem Schlußpfiff fast ganz abgelöst hat.


    Viele „Normalos” unter den Fans argwöhnen, daß es den Ultras gar nicht mehr um den Spielverlauf, sondern nur noch um Symbolfetischismus und lückenlose Unterstützung geht. Schließlich steht der „Capo” über neunzig Minuten mit dem Rücken zum Spielfeld. Doch Klaffke sieht genau darin eine tiefere Form der Zuwendung - in einer Zeit, in der man sein Fantum nicht mehr nur über die alle paar Jahre durchgewechselte Mannschaft definieren kann. „Man klammert sich an die Idee des Vereins, die Gemeinschaft des Vereins. An traditionelle Werte wie Wappen und Farben.”


    Fußball als Freiraum


    Auch wenn sich die Ultras scheinbar vom modernen Fußball mit seinen ökonomischen Bedingungen und am Taktiktisch gewonnenen Erkenntnissen abkoppeln, geht es ihnen um die Rettung des Fußballs als eines nicht fremdbestimmten Freiraums. „Die Ultras haben unbewußt an der Kommerzialisierung des Sports mitgewirkt”, gibt der Jurastudent Kirschner zu. Jetzt, sagt Klaffke, kopiert der DFB mit seinem Laborfanclub die Stimmungstechniken der Ultras, während andererseits Angst geschürt wird vor „Menschenansammlungen in der Kurve, die nicht berechenbar sind”.


    Schon wegen Bierbecherwürfen werden Stadionverbote verhängt. „Auf der Kurve”, sagt Klaffke, „sollte es aber gewachsene Rituale geben, die toleriert werden.” Denn längst werde die Jugendkultur der „Ultras” eingeholt von einer „Klingelton-Generation”, die mit Freundin im Arm und Fanshop-Tüte in der Hand ins Zentrum des Fanblocks eindringt, das doch nach alter italienischer Sitte den Ultras gehört, und sich dann, wenn die ganze Kurve hüpft, über Schmutzflecken auf ihren empfindlich weißen Turnschuhen beschwert. Das klingt nach jener Arroganz, die den Ultras oft vorgeworfen wird - aber die familienfreundlichen Sitzplatzstadien sind groß und die Ultras klein an der Zahl. „Die Fankurve”, sagt Klaffke, „ist in einer beliebigen Spaßgesellschaft eine Insel, die gleichbleibt.”


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