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Der normale Kölner Wahnsinn
Von Peter Ahrens
In seiner Bielefelder Zeit dozierte Uwe Rapolder gerne über seinen Konzeptfußball. Jetzt, beim 1. FC Köln, wirkt der Coach eher konzeptlos. Das Team ist nach vielen Niederlagen auf dem Weg zum Tabellenende. Rapolder flüchtet sich in Durchhalteparolen.
Viel Freude lässt man uns ja nicht mehr am Fußball. Alles, was mal schön war und Anlass zur Hoffnung gab, scheint doch nur wert, dass es zugrunde geht. Klinsi-Euphorie, die "jungen Wilden" beim VfB Stuttgart, der etwas andere Fußballclub FC St. Pauli - aus, vorbei, vorüber. Aktuell gilt es mal wieder, Abschied zu nehmen. Diesmal vom Konzeptfußball. Vor nicht allzu langer Zeit wurde dieser als der Kick des 21. Jahrhundert gepriesen. Uwe Rapolder war der Architekt und Wortschöpfer des Konzeptfußballs, er ist Übungsleiter beim 1. FC Köln, und erlebt gerade, wie es ist, wenn alles den Bach, respektive Rhein, runtergeht.
So genau wusste zwar niemand, was das ist, was Rapolder da seit der erfolgreichen Erstligasaison der von ihm im Vorjahr trainierten Bielefelder Arminia predigte, aber es klang verdammt gut. Der Wind der Innovation umwehte den Trainer. Konzeptfußball - das hörte sich nach der Postmoderne an, nach Intellekt, nach einer Kreuzung aus Walter Jens und Arsène Wenger. Mit einer Struktur im Kopf und auf dem Platz rückt die individuelle Klasse des Akteurs in den Hintergrund. Möglich sollte es stattdessen sein, auch mit womöglich weniger begabten Spielern den angestrebten Erfolg zu erzielen. So hieß es.
Nach fünf Niederlagen in Serie bei Bundesliga-Rückkehrer Köln klingt das Rapoldersche Credo nun ein klein wenig modifizierter: "Wir müssen jetzt den Stahlhelm aufziehen und da durch." Das hätte auch Trainer-Strategen vom Schlage Rolf Schafstall oder Georg "Schorsch" Gawliczek einfallen können, die gemeinhin als Prototypen des Fußballs von vorvorgestern gelten. Rapolder ist extrem auf dem Erd- und Hosenboden der Liga gelandet. Und wie bei allen Beispielen von "Flieg nicht so hoch mein kleiner Freund"-Phänomenen mischt sich auch hier ein bisschen Schadenfreude in das Bedauern über den Tiefflug des Projektes FC 2006.
Wer den Eindruck erweckt, er habe den Fußball zwar nicht komplett neu erfunden, aber zumindest erheblich zu seiner Weiterentwicklung beigetragen, hat mit einer gewissen Fallhöhe zu rechnen. Das musste ein Ralf Rangnick dereinst als Bundesliga-Novize in Ulm erfahren, das erfährt jetzt Rapolder. Der 47-Jährige ist mit seinem Wort vom "Konzeptfußball" ein bisschen zu lange hausieren gegangen. Er hat sich ein bisschen zu sehr im bewundernden Gemurmel der Fachwelt wohl gefühlt.
Der Start in die Spielzeit tat sein Übriges. Nach zwei Siegen zu Saisonbeginn war beim stets zum Leichtblut neigenden 1. FC Köln der übliche Mechanismus ausgebrochen: In Köln herrschte wieder mal "Fiere und danze"-Stimmung (hochdeutsch: Feiern und tanzen), der internationale Wettbewerb schien sowieso zum Greifen nah, die Volksseele schäumte über wie gewohnt. Alles nichts Besonderes, die ganz normale Kölner Hybris, man darf sich als Verantwortlicher nur nicht davon anstecken lassen.
Aber der 1. FC Köln und sein Trainer, die Clubspitze ums Denkmal Wolfgang Overath, die Fans - sie alle vergaßen für einen fatal lange andauernden Moment, was dieser Verein tatsächlich ist: Nicht mehr als ein ganz ordinärer Bundesliga-Aufsteiger, der seinen Mitkollegen MSV Duisburg und Eintracht Frankfurt lediglich voraus hatte, nach zwei Spieltagen ein paar Pünktchen mehr auf dem Konto zu haben.
Nun sind erst zehn Spieltage abgespielt, der FC stand nicht ein einziges Mal auf einem Abstiegsplatz, er tut es auch nach fünf Pleiten in Folge noch nicht, und trotzdem ist Rapolder schon mit einem Fuß in der Erwerbslosigkeit. Wer auch nur billigend zulässt, dass Ansprüche formuliert werden, die der Realität nicht entsprechen, der kommt eben in eine solche Situation, in der der Trainer nun steckt. In Duisburg redet keiner vom Trainerrauswurf, obwohl der MSV noch schlechter in der Tabelle steht. Hier weiß man die eigenen Stärken und Schwächen einzuschätzen, entsprechend unaufgeregt wird gearbeitet.
Rapolder und der 1. FC Köln dagegen müssen derzeit erst einmal lernen: Konzeptfußball funktioniert dann, wenn eine Flanke genau auf den Kopf des Mittelstürmers geschlagen wird und der den Ball ins Tor köpft. Konzeptfußball ist dann erfolgreich, wenn sich im richtigen Moment ein Angreifer frei läuft und er den exakt geschlagenen Pass aus dem Mittelfeld aufnimmt. Konzeptfußball hat dann sein Recht, wenn der Verteidiger einen Schritt schneller am Ball ist als der gegnerische Stürmer und so ein Gegentor verhindert. Konzeptfußball setzt sich dann durch, wenn Lukas Podolski in Form ist und Tore schießt. Auweia, so einfach soll das sein? Ja.
Rapolders ehemaliger Verein, die Arminia aus Bielefeld, die der Trainer im Frühjahr mit Macht zu verlassen drängte, da er keine sportliche Herausforderung mehr zu erkennen glaubte, steht in der Tabelle derzeit drei Punkte und drei Plätze über den Kölnern. Mit einem besonnenen Coach Thomas von Heesen auf der Bank, der um die bescheidenen Mittel im Verein weiß, den Club auf den ganz normalen Abstiegskampf einschwört und ein von Woche zu Woche intakteres Team bastelt. Ganz ohne Konzeptfußball-Rhetorik.
Am nächsten Samstag kommt der FC Bayern München nach Köln. Anschauungsunterricht von Felix Magath und Uli Hoeneß für Rapolder und Overath: Einen Verein konsequent über 35 Jahre aufbauen, gezielt verstärken, auf eine starke Trainerpersönlichkeit vertrauen und europäische Erfolge einfahren - das ist wahrscheinlich wahrer Konzeptfußball.
R.I.P. Konzeptfußball