2. Liga spielt verrückt
Die befürchtete Langeweile bleibt aus: 1860 rechnet mit 66 000 Fans gegen Dresden. Siegen steht auf einem Aufstiegsplatz, und die Spieler müssen Tickets verkaufen. In Bochum blühen jetzt die Gescheiterten auf, in Saarbrücken spielt ein Ex-Star, der Ferrari fährt. Und Braunschweig kocht ...
Man muß nicht lange forschen, um herauszufinden, warum Aufsteiger Eintracht Braunschweig in der 2. Liga dicht hinter den Aufstiegsplätzen rangiert. Anderswo sagt man leichtfertig: Das liegt am guten Klima im Verein. Hier im Norden kann man den Teamgeist fast spüren. Als Manager Wolfgang Loos 5o Jahre alt wurde, verwöhnten sie ihn in der Stadionküche mit Raclette. »Für mich ein ganz besonderes Essen«, erzählt er. »Aber auch sonst gibt es bei uns immer köstliche Sachen.« Mehrmals pro Woche trifft sich Loos mittags um 13 Uhr mit Trainer Michael Krüger, Co-Trainer Willy Kronhardt, Zeugwart Christian Skolik und Physiotherapeut Werner Kranz in den Katakomben des Stadions an der Hamburger Straße zum Mittagessen - Braunschweig hat die erste Kochgemeinschaft im Profi-Fußball. Hinterm Herd steht Physio Kranz, der vor anderthalb Jahren die Küche einbauen ließ. »Das ist eine gute Atmosphäre«, sagt Manager Loos. Diskutiert wird über Taktik, Aufstellung, Verträge. So wurde zwischen Töpfen und Pfannen entschieden, daß Jürgen Rische (34) noch einmal einen Vertrag bekommt. Dieser Rische ist inzwischen mit drei Treffern bester Torjäger, und mit Teamgeist warfen die Braunschweiger zuerst Dortmund aus dem DFB-Pokal, vier Tage später gewannen sie 3:2 bei Absteiger Hansa Rostock. Noch Fragen? Braunschweig ist nur ein Beispiel, warum die 2. Liga verrückt spielt. Es grüßen von oben: die Aufsteiger Sportfreunde Siegen, der SC Paderborn und Dynamo Dresden, die neue Kraft aus dem Osten. Die Favoriten dümpeln in der Tiefe der Tabelle, von der befürchteten Langeweile ist gar keine Spur mehr. Bei 186o München erwarten sie im Heimspiel nächste Woche Freitag gegen Dresden eine ausverkaufte Allianz-Arena: 66 000 Zuschauer in der 2. Liga - das ist rekordverdächtig! Und wundert überhaupt nicht. Nach dem 4:1 gegen Offenbach träumen die Dynamo-Fans schon vom Aufstieg und bringen 10 000 Anhänger mit. Gleich am ersten Vorverkaufstag waren bereits nach einer Stunde 1700 Stehplatzkarten verkauft. »Das ist Wahnsinn«, schwärmt Geschäftsführer Volkmar Köster. »So etwas gibt es nur bei Dynamo.« Präsident Jochen Rudi sieht in diesem Auswärtsspiel in München so etwas wie ein Finale für sein Team: »Vor so einer Kulisse zu spielen ist für die Jungs ein ganz neues Gefühl. Für jeden ist es eines der wichtigsten Spiele seines Lebens. Wenn sie da etwas reißen, gibt das einen Kick.«
Und nochmals, hier geht es um die 2. Liga ...
Wegen des großen Ansturms hat 186o München eine Ticket-Hotline eingerichtet, und in der Allianz-Arena können die Fans jetzt jeden Tag Karten kaufen. Zudem sollen zwei neue Mitarbeiter für das Ticketing eingestellt werden. Noch zu Saisonbeginn drohte der Klub für den Fall des Mißerfolgs noch mit Entlassungen. Die 2. Liga spielt verrückt. Es macht einfach Spaß. Alle vier Neulinge stehen unter den ersten neun der Tabelle. Paderborn siegte nach dem 5:0 gegen Saarbrücken in Cottbus mit 2:1, hat wie Braunschweig und Offenbach sechs Punkte. Genauso Siegen, das 3:0 gegen Saarbrücken gewann - und jetzt auf einem Aufstiegsplatz steht! Erste Liga? Der Klub ist nicht mal richtig auf die 2. Liga vorbereitet. Erst seit einem Monat gibt es eine offizielle Verkaufsstelle für Fan-Artikel - es hat sich gelohnt: Vorige Woche machte Siegen 30 000 Euro Umsatz. Damit der weiter steigt, müssen die Profis mit anpacken. In den zehn neuen Vorverkaufsstellen (vorher gab es Tickets nur an der Geschäftsstelle) sollen sie vor dem Cottbus-Spiel Karten verkaufen. »Es ist verrückt, was hier passiert«, sagt Trainer Jan Kocian (47). Um die Mannschaft nicht abheben zu lassen, schickt er sie diese Woche zweimal in den Wald, läßt je zwölf Kilometer laufen. »Wir dürfen uns jetzt nicht zurücklehnen.«
Der Satz könnte auch von Bochums Stürmer Edu (23) kommen. In der 2. Liga ist der Brasilianer endlich positiv im Gespräch. Er erzielte schon vier Tore, traf auch beim 2:2 gegen Ahlen wieder. Vergangene Saison litt er unter seinem spielentscheidenden Fehlpaß beim Uefa-Cup-Aus gegen Lüttich und der darauffolgenden Krise des VfL, die mit dem Abstieg endete. Jetzt ist alles anders. Bochum hat einen Neuen mit Namen China (25). Der ist ebenfalls Brasilianer und legte Edu im ersten Spiel in Saarbrücken ein Tor vor. Das verbindet. Die beiden Brasilianer wurden sofort dicke Kumpel. Nur auf Chinas Wohnung ist Edu neidisch, obwohl er sie für ihn ausgesucht hat. Fast täglich steht er nun bei Bochums Manager Dieter Meinhold auf der Matte und will »auch so eine tolle Wohnung haben«.
Sogar beim Tabellenletzten 1. FC Saarbrücken geht's verrückt zu. Dort bestaunen die Spieler nach dem Training die Luxus-Karossen ihres Kollegen Mustapha Hadji (33). Der prominenteste Neuzugang der Liga fährt einen Mercedes SL und einen Ferrari - einen mit gläserner Motorhaube! Den Wagen bekam der Ex-Star von La Corufla und Aston Villa von Marokkos König geschenkt, als er 1998 Afrikas Fußballer des Jahres wurde. »Uns stört das nicht. Diese Dinge hat er sich durch seine Erfolge verdient. Und: Jeder hat sein Hobby - damit haben wir kein Problem«, sagt Saarbrückens Torwart Marc Ziegler (29) und ergänzt: »Er hat keine Allüren. Mustapha ist in der Mannschaft sehr beliebt. Er arbeitet sehr viel, hilft auch hinten aus. Das ist vorbildlich.« So verrückt wie seine Autos sind auch die Umstände, unter denen der berühmte Marokkaner in die 2. Liga kam. Saarbrückens Sportdirektor Bernd Coen erklärt: »Hadji wurde nur 15 Kilometer von Saarbrücken entfernt geboren, in Creutzwald in Frankreich. Seine Familie lebt noch da. Als er im Sommer zu Besuch kam, haben wir uns in Saarbrücken getroffen. Am Anfang haben wir noch Spaß über einen Wechsel gemacht-dann ging es auf einmal ganz schnell. Das Thema Geld war ihm nicht so wichtig.« Der Beweis: Hadji verdient rund 130 000 Euro im Jahr, liegt im Ligaschnitt. Aber auch er konnte die drei ' Pleiten (12 Gegentore) und den Rauswurf von Trainer Horst Ehrmantraut nicht verhindern - nach Jörg Berger (Hansa) der zweite der Saison. Aber das ist Vergangenheit.