Als erstes möchte ich mal BlauerJunge76 und Kai für Ihre ausführlichen Posts danken. Sie zeigen, daß Ihre unterschiedlichen Auffassungen von Politik immer eine Geschichte haben und / oder sie sich eine Menge Gedanken gemacht haben.
Da ich die Dinge etwas anders sehe, meine ich, daß ich Euch auch eine andere Sichtweise vermitteln kann. Ich konzentriere mich hierbei mal auf einen Bereich in der Wirtschaft.
Ich führe einen Handwerksbetrieb mit derzeit neun gewerblichen Mitarbeitern. Im Jahr 2003 wurde die Handwerksordnung novelliert. Auf der Grundlage verschiedener Initiativen von Herrn Clement (Seinerseits Minister in der Koalition der SPD und der Grünen) wurde durchgesetzt, daß in vielen Bereichen der Baubranche die Pflicht einen Meistertitel zu führen abgeschafft wurde. Gleichzeitig wurde mit den Reformen am Arbeitsmarkt die Gründung von "Ich-AG´s" mit Steuermitteln gefördert. Der hier im Forum geforderte Mindestlohn ist auf dem Bau schon durchgesetzt und liegt bei 12,85€ (Nagelt mich jetzt nicht auf 5 Cent fest ). Der eigentliche Tariflohn im Baugewerbe liegt bei 15,12€.
Die drei geschilderten Punkte (Mindestlohn, Abschaffung der Meisterpflicht & Ich-AG) stellten und stellen sich für Arbeitgeber UND Arbeitnehemr als gefährliche Mischung dar:
- Bei vielen Firmen hat (unerlaubter Weise) der Mindestlohn den Tariflohn abgelöst. (Ich betone, nicht bei uns!)
Das bedeutet für einen Facharbeiter einen Bruttolohn von 2.000€ bis 2.100€ statt der tariflichen 2.400€ bis 2.500€ monatlich.
- Der Arbeitgeber muß zusätzlich noch ca. 90% Sozialaufschlag zahlen. D.h. ein Mindestlohner kostet monatlich ca. 3.800€, ein tariflich angestellter Mitarbeiter 4.500€. Würden wir das mit neun Facharbeitern durchziehen, könnten wir 75.000€ (!) jährlich sparen.
Der Verlierer ist der Mitarbeiter.
- Aber es geht noch besser. Warum sollte ich überhaupt Sozialbeiträge zahlen? In vielen, wenn nicht sogar den meisten Betrieben auf dem Bau (wieder die Betonung: nicht bei uns!) werden mittlerweile "Ich-AG´s" als Subunternehmer beschäftigt. Zwar ist Scheinselbsständigkeit verboten, überwacht wird das aber nicht. Eine "Ich-AG" (viele ehemals regulär angestellte Facharbeiter) bietet eine Arbeitsstunde so zwischen 10€ und 15€ an. Inklusive Sozialabgaben, um die Rente kümmert man sich später. Kosten für den Unternehmer: 2.400€. Das ist fast die Hälfte zum tariflich angestellten Mitarbeiter.
Gleichzeitig bedeutet das auch eine zusätzliche Belastung für die Sozialsysteme, da die ICH-AG´s meistend keine Rentenversicherungsbeiträge abführen. Wir subventionieren also eine fachlich oft nicht qualifizierte Dumpingkonkurrenz. Gleichzeitig verarmt leider wieder ein Teil des deutschen Mittelstands.
Mit meinem Beispielen will ich zeigen, daß das Wirtschaftsystem hochgradig sensibel auf Veränderungen reagiert. Wenn gesagt wird, daß der Mindestlohn sich nicht negativ auf die Beschäftigungszahl auswirkt, fällt mir eine Studie aus diesem Jahr ein, die zum Beispiel die "ICH-AG" als Erfolg ausgewiesen hat. Es wurde aber nur bewertet, wie viele dieser Unternehmen noch auf dem Markt sind und nicht wie viele tarifliche Arbeitsplätze zerstört wurden. Also vorsicht bei diesen Studien!
Ich betone, daß ich den Mindestlohn für einen äusserst redlichen Ansatz halte. Ich glaube aber nicht, daß er die Probleme löst und sich durchsetzen lässt. So kann man ja zum Beispiel auch einen Frieseurstuhl an eine selbständige Frieseurin vermieten und schwups ist der Mindestlohn makulatur.
Was ich wähle, behalte ich für mich. Mir ist jedoch wichtig, daß sich der Staat aus den oben beschrieben Bereichen heraushält und die Entlohnung den Tarifparteien überlässt. Die Regierung ist die schlechtere Gewerkschaft und zerstört damit leider die richtigen Gewerkschaften. Ich habe keine Ahnung ob er es mittlerweile versteht, 2002 hat jedoch Herr Brandner es zynischer Weise noch nicht kapiert.
Warum ich als Selbstständiger für höhere Löhne bin? Weil ich will, daß die Leute uns beauftragen können. Das ist gut für´s Geschäft
Abschliessend einen Tip an alle. Lest Euch die Programme durch und lasst Euch nicht von oberflächlichen Spots und Polittalks blenden oder beeinflussen.