Vorschlag für einen neuen HSV-Namen | 28.10.2002
Auswärts - Schlappen - Verein
Kein Team in der Bundesliga ist auf fremden Plätzen derzeit so schlecht wie der HSV.
Fünf Reisen, null Punkte – seit sieben Monaten warten die Fans auf Zählbares in der Ferne. Auch bei Aufsteiger Arminia Bielefeld war nichts zu holen. 1:2! Anstatt auf die UEFA-Cup-Ränge zu schielen, bietet sich dem HSV nach der Talfahrt auf der Alm wieder freier Kellerblick. Aber wieso noch HSV? ASV wäre besser – Auswärts-Schlappen-Verein. Was hatte Trainer Kurt Jara den vielen treuen Fans versprochen? „Wir beenden die Serie hundertprozentig“, lauteten die Worte des Österreichers – und deshalb waren erneut über 2500 Anhänger dem Krisenklub ins Westfälische gefolgt. Vergeblich. Ja, es war eine Leistungssteigerung. Ja, es wurde gekämpft. Aber sollte das nicht selbstverständlich sein? „Dass die Mannschaft nicht gekämpft hat, kann man ihr nicht vorwerfen“, erkannte Klubchef Werner Hackmann. „Das Team hat gezeigt, dass es um jeden Meter kämpft“, sagte Jara. Bielefeld gewann trotzdem 2:1.
Trotz der sicher knappen Niederlage sprachen alle Beteiligten übereinstimmend „vom besten Auswärtsspiel des HSV in dieser Saison“. Wie bitter und erschreckend, wenn ebendieses beste Spiel dem HSV nicht wenigstens ein Pünktchen einbringt. Am kommenden Sonnabend geht es zum Meister nach Dortmund…
Jara nahm „nach dieser Auswärtsleistung“ Hoffnung mit – und die Angst um seinen Job. Keine Punkte in Dortmund, das hieße für den ‘ASV’, dass das Heimspiel gegen 1860 München gewonnen werden muss. Reicht’s dann nicht wieder zu einem ‘Dusel-Heimsieg’, geht es dem Trainer an den Kragen, sonnenklar.
Die „Jara-Raus“-Rufe einiger Fans hatte der Coach noch gar nicht gehört, als er meinte: „Wenn du verlierst, wird es in Hamburg immer Diskussionen um den Trainer geben.“ Richtig, denn er ist verantwortlich für die Fehler Pieckenhagens, die Aussetzer von Barbarez oder die indiskutable Leistung von Baur. Es hilft niemandem, wenn die kämpferische Einstellung stimmt, oder?
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Harter Tobak | 28.10.2002
Der blinde Frust von Barbarez
Der Bosnier ist mit Herz dabei – und fliegt vom Platz
Was soll der Scheiß? Bleiben Sie ganz locker! Halts Maul, man! Wir können uns auch draußen vor dem Stadion wiedertreffen!“ – Uff, was sich ZDF-Reporter Tibor Meingast mit seinem Kameramann so alles von Sergej Barbarez anhören musste. Nur, weil sie weiter filmten, obwohl der Bosnier ein Interview abgelehnt hatte. Das war ganz schön harter Tobak. Wie Barbarez zuvor auf dem Platz seine Gelb-Rote Karte nach wiederholtem Meckern und einem überflüssigen Bodychek provozierte, war ganz schön dumm. Wie Barbarez 70 Minuten Fußball spielte, war ganz schön schlecht.
Es bleibt nichts anderes übrig, als mit dem Gescholtenen sehr hart ins Gericht zu gehen. Nein, falsch. „Die Sache hat doch gezeigt, dass man mit Herz bei der Sache ist“, sagte Barbarez zum Vorwurf, sich mit dem Schiri unnötig angelegt zu haben. „Wenn Leute keinen Respekt davor haben, dass ich keine Interviews gebe, dann halte ich dagegen“, entgegnete der Bosnier zum Streit mit dem ZDF-Mann. Zu seiner Leistung referierte der 31-Jährige allerdings nicht. Soll heißen: Die war schlecht, damit bin ich einverstanden. Während sich alle Verantwortlichen – wohl nach Entschuldigungen suchend – damit beeilten, zu erklären, dass die Gelb-Rote Karte gerecht und unnötig war, diskutierte Barbarez (als einziger HSV-Spieler) schon längst mit den Fans vor dem HSV-Bus. Die Ausraster bereits abgehakt.
„Dummes Rot“, urteilte Kapitän Hoogma über die Hinausstellung des Kollegen. „Klar hat sein Platzverweis unseren Ausgleichsbemühungen geschadet“, befand Sportchef Beiersdorfer. „Ich gaube nicht, dass mein Feldverweis etwas mit unserer Niederlage zu tun hat“, hielt Barbarez dagegen. Das klingt doch etwas blasiert. Trainer Jara hält nichts von Strafen. Er will morgen mit dem Sünder „ausführlich sprechen“. Das ist zweifellos eine Schuldzuweisung.
Ist Barbarez nun schuld, oder ist er einfach unglücklich das Opfer seiner selbst geworden? Der Leidtragende eigenen, blinden Frustes? Es scheint, als habe sich beim bärbeißigen Bosnier der ganze Verdruss der vergangenen Wochen mit dem HSV entladen – auf dem Platz, beim Schiri, beim Reporter.
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HSV-Fans proben den Aufstand | 28.10.2002
»Ihr könnt mich alle mal«
Von Jens Friesendorff
Martin Pieckenhagen kann die Reaktion der frustrierten Anhänger nicht verstehen
Die Fans würden langsam ungeduldig werden, und er könne das ja irgendwie auch verstehen. Es schien gestern Morgen nach einem 45-Minuten-Waldlauf der HSV-Profis so, als hätte Trainer Kurt Jara noch nicht ganz begriffen, was sich nach dem fünften verlorenen Auswärtsspiel in Bielefeld abspielte. Einige Anhänger des HSV probten den Frust-Aufstand, blockierten den Mannschaftsbus, wollten so die Spieler zur Rede stellen. Das gab es beim HSV so noch nie.
Rund 40 Fans bauten sich vor der rollenden Trutzburg auf. Seit der Krise am Ende der Ära Pagelsdorf hat das millionenschwere Gefährt werbebannerverklebte Scheiben, durch die der Fan nicht mehr in die Gesichter der Profis schauen kann. Doch diesmal mussten die Spieler ihren Fans in die Augen gucken. Fast eine Stunde dauerte die Bus-Blockade, dann schaffte es Vorstandsmitglied und Ex-Fan-Beauftragter Christian Reichert, zumindest einige Spieler zum Spießrutenlauf zu bewegen. Nur Reicherts Verhandlungsgeschick war es zu verdanken, dass die Lage nicht eskalierte. Der Einsatzleiter der Polizei hatte sich schon auf die „Räumung des Geländes“ eingestellt, sollte kein Profi bereit sein, sich zu stellen.
Einige kamen. Andere, wie Kapitän Nico Hoogma („Ein Fan guckt nicht objektiv und sieht die Leistungssteigerung nicht. Bei den Fans spricht nur das Herz“), mogelten sich unerkannt hinter das sichere Busglas. Dabei blieb alles friedlich. „Ich kann die Fans verstehen“, sagte Sergej Barbarez und stellte sich der Menge. „Fährst du mit uns im Sonderzug nach Dortmund, Sergej. Da musst du aber früh aufstehen“ – „Das geht nicht, ich muss mit der Mannschaft im Bus fahren.“ Müsste er nicht, weil er gesperrt ist. Sie wollten nur reden.
Doch die ängstlichen Spieler wollten ihre Fans nicht verstehen. Hatten sie nicht gerade „unser bestes Auswärtsspiel abgeliefert und gekämpft“? Sie hatten verloren. Schon fünf Mal begleiteten sie die Fans unter Geld- und Zeitaufwand zu Auswärtsspielen. Sie haben immer verloren. „Nach so einer Leistung kann ich die Reaktion der Fans nicht nachvollziehen“, wunderte sich Torwart Martin Pieckenhagen.
„Wir sind Hamburger und ihr nicht“, ließen sich die Blockierer zwischendurch hinreißen. Wie der HSV-Keeper. Von einem „Fliegenfänger“-Ruf provoziert, verlor er die Fassung: „Ihr könnt mich alle mal!“ Keine netten Worte in Richtung von Anhängern, die vielleicht nicht objektiv sind, aber mit dem Verein immer durch dick und dünn gehen. „Dass unsere Fans enttäuscht sind, ist zu verstehen“, sagte Sportchef Beiersdorfer und stellte sich auch. Dass er den „Mut“ hatte und zum besetzten Bus kam, beruhigte die Fans schon.
Klubchef Hackmann ließ sich dagegen trotz lautstarker Forderungen ebensowenig blicken wie Trainer Kurt Jara. Der kniff. Für ihn musste der Bus später bis fast 50 Zentimeter vor die Kabine fahren. Die „Jara-Raus“-Rufe begleiteten ihn dafür bis vor die Stadiontore. „Mein Gefühl ist gut“, sagte Jara gestern – er meinte die sportliche Entwicklung…
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HSV-Geflüster | 28.10.2002
»Wehli« vor Wechsel nach Edinburgh
Der Keeper absolviert Probetraining in Schottland / Sorge um Wicky
Beim HSV ist er nur noch Keeper Nummer vier. Jetzt gibt es für Carsten Wehlmann Licht am Ende des Tunnels. Gestern Abend flog der 30-Jährige nach Schottland, absolviert bis zum Ende der Woche ein Probetraining beim Erstligisten Hibernians Edinburgh. Wenn Wehlmann (noch Vertrag bis zum 30. Juni 2003) einen guten Eindruck hinterlässt, könnte er schon in der Winterpause wechseln. „Er hat sich hier immer korrekt verhalten. Wir würden ihm sicher keine Steine in den Weg legen“, sagt Sportchef Dietmar Beiersdorfer.
Nach sechs Wochen Abstinenz feierte Bernd Hollerbach (rutschte für den angeschlagenen Stephan Kling rein) auf der Alm sein Comeback. Kurt Jara dazu: „Holler hat genau das gespielt, was ich von ihm erwartet habe.“ Gestern führte der Coach mit dem Routinier noch ein Einzelgespräch. „Wir haben unter Männern geredet. Die ganze Sache ist vergessen. Ich war nie nachtragend“, so Hollerbach.
Sorge um Raphael Wicky. Der Schweizer musste wegen einer Sehnenentzündung im linken Fuß kurzfristig passen. „Ich habe das schon seit ein paar Wochen gespürt, aber am Spieltag wurden die Schmerzen immer stärker.“ HSV-Doc Gerold Schwartz hat drei Tage Ruhepause verordnet. Am Mittwoch will Wicky wieder ins Training einsteigen. „Ich hoffe, dass ich Sonnabend gegen den BVB wieder auflaufen kann.“ Das wird eng.
Besser sieht es für Christian Rahn aus. Der Mittelfeldmann (Jara: „Seine Standards haben uns gefehlt“) bekam einen Pferdekuss von Christoph Dabrowski verpasst, musste danach vom Platz. Rahn: „Mitte der Woche wird es wieder gehen. Die Schmerzen laufen sich raus.“
Trotz der Sperre von Sergej Barbarez wird Rodolfo Cardoso wohl nicht zum Dortmund-Kader gehören. „Ausgeschlossen ist nichts“, meint Jara. „Aber der Grundsatzgedanke ist, dass er bei den Amateuren spielt.“
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