Ich kann nun wahrlich nicht verstehen, was hier alles für abenteuerliche Thesen aufgestellt werden und warum es für schicklich und vernunftbegabt gelten soll, undifferenziert jeden Barrikaden-Überspringer zum Chaoten, Randalierer oder Verbrecher zu erklären.
Daß die Szenen nach dem Abpfiff nicht schön anzusehen waren, kann ich unterschreiben, aber eine Wirkung ohne Ursachenforschung zu verurteilen ist eine Rechtsauffassung aus dem finstersten Mittelalter.
Damit wir uns richtig verstehen, die Geschehnisse nach dem Spiel gegen Nürnberg haben nichts mit der üblichen Randale von Hooligans und anderen Chaoten in, vor, hinter oder weit weg von Stadien zu tun, von denen wir europaweit und fast wöchentlich erfahren. Hier sind Leute aus der Ostkurve ausgeflippt, weil sie keine andere Möglichkeit mehr sahen, ihrer Wut Ausdruck zu verleihen. Diese Reaktion war nicht auf ein geplantes Ziel aus, sie war der körperliche Ausdruck einer Ohnmacht, nichts, aber auch gar nichts gegen den Verrat von Geschäftsführung, Übungsleiter und Spielern an ihrem Verein machen zu können. Sie haben Plakate beschrieben, mahnwachen-ähnliche Proteste organisiert, den Verein unterstützt, gemahnt, gefordert, appelliert und alles an Zeit und Geld eingesetzt, was sie zur Verfügung hatten.
Doch was haben sie dafür bekommen? Sie wurden angelogen, wurden in Auswärtsstadien zum Freiwild der Häme und des Spotts, wurden vom eigenen Übungsleiter immer wieder vertröstet, verarscht und verspottet (Euphorie ist schön, aber sie schadet den Spielern, sie dürfen sich davon nicht anstecken lassen), sie wurden verraten und verkauft und immer wieder enttäuscht. Sie, die ihrem Verein ihr Herz, ihre Zeit und ihr Geld geben, auf der einen Seite der Gräben und Zäune, die anderen, die dieses Herz, diese Zeit, dieses Geld nehmen auf der anderen, in allen Belangen abgesicherten Seite.
Geschäftsführung, Übungsleiter und Spieler haben in jeder Minute die Öffentlichkeit auf ihrer Seite, sie können dort in jedes Mikrofon, in jede Tastatur ihren verbalen Müll ablassen, sich selbst darstellen und den Fans damit klar machen, daß nicht die der Nabel der Hertha-Welt sind. Die Fans haben all diese Möglichkeiten nicht. Sie haben ihre Foren, ihre Familien, ihre Freunde - alles zusammen nicht mehr als einen Schrebergarten voller Ohnmacht.
In der ganzen Krisenzeit dieser Saison haben die Fans nicht versagt, nicht Dienst nach Vorschrift gemacht, ihren Verein nicht verraten und nicht im Stich gelassen. Gedankt wurde es ihnen nicht.
Mit diesem Gemütszustand und diesen wieder erfolgten Versprechungen auf die Hoffnung feuerten sie ihre Mannschaft an. Sie gaben wieder alles, fair, loyal, mit Herzblut. Sie bekamen wieder nichts dafür. Sie erlebten die Unfähigkeit nach einer Führung, den dreifachen Betrug durch den Schiedsrichter, der sie schon so oft und immer wieder betrogen hat und auch diesmal nicht fair und unparteiisch sein wollte, da es um mehr als nur drei Punkte ging. Sie erlebten den Übungsleiter als Dogmatiker und größten Hasser jeglichen Fanwillens und den Manager mit seinen Tränen um seine persönliche Zukunft und der immer schon vorhandenen Arroganz gegenüber den Fans, als er noch nicht Manager aber schon ein Lügner war.
Und sie wußten, daß sie wieder nur Ertragende sind, nicht Handelnde, nicht Beeinflussende - sie sind die Ohnmacht.
Doch all das war nicht der Anlaß der Geschehnisse, war vielleicht Ursache, Grund, das Unterbewußte, Bedrückende und Quälende. Aber es war nicht Zündfunke.
Anlaß waren die den Straftatbestand der Beleidigung, Verunglimpfung, öffentlich Herabsetzung und Nötigung erfüllenden Gesten des Nürnberger Torhüters Schäfer nach dem Spiel. Ich habe mir alle Fotos dazu angesehen und alle Zeugenaussagen durchgelesen. Dieser Mann kann dafür verklagt werden, vor einem Sportgericht genauso wie vor einem Zivilgericht. Er war der Provokateur, der Brandstifter, der Schweinehund. Unantastbar - und das war wohl die größte Schande, die die Zuschauer erleiden mußten. Denn dieser Mann konnte da herumhampeln, ohne das der Schiedsrichter eingriff, die Ordner eingriffen, die eigene Mannschaft eingriff.
Und dann kam das, was kommen mußte, unvernünftig aber logisch, nicht gewollt aber gemußt, nicht durchdacht aber instinktiv.
Denn das sollte es nicht mehr geben, die tatenlose Ohnmacht, die Verdammung zur Unfähigkeit der Wehr.
Ich gestehe, hätte ich dort gesessen und das erleben müssen, kein Videogerät in der Hand wie die Polizei, keinen Machtapparat des staatlichen Gewaltmonopols hinter mir, keine Hilfe von denen da drinnen für die da draußen, ... ich hätte mir Schäfer geschnappt, schneller als die anderen wäre ich dort gewesen und ich hätte mein Recht auf Notwehr in Anspruch genommen, jenes Recht, das mir erlaubt, mich zu schützen vor körperlicher, verbaler und seelischer Gewalt.
Und da wäre es mir egal gewesen, ob ich dafür meine inneren und äußeren Grenzen hätte überwinden müssen.
Wirklich schlimm bei diesen Vorkommnissen finde ich die allgemeinen Krokodils-Tränen der Gegenbauer, Preetz und Co, der Hetzpresse und der reality-show-erprobten Fernsehsender. Und ich finde es schlimm, wie verlogen die Gegenbauer, Preetz und Co jetzt mit harter Hand durchgreifen wollen, die sie eine ganze Saison haben vermissen lassen. Sie wollen ihren Ruf retten, der durch ihre allgewaltige Unfähigkeit so ramponiert ist wie eine Hure nach einer 48-Stunden-Schicht.
Jetzt fehlt mir nur noch, daß sie ihr Vorgehen damit begründen, Hertha vor Schaden bewahren zu wollen.
Diese Geschehnisse im Oly werden sie alle auf den Plan rufen, diese ganze verlogenen Brut der hochbezahlten Funktionäre, denn einen besseren Gefallen hätten die ziellos Herumirrenden ihnen gar nicht zu Füßen legen können, ihre Skandale und Mißwirtschaften schnell ins sprichwörtliche hintere Glied zu schieben.
Das ist vielleicht das einzig wirklich und ernsthaft zu Verurteilende.