zu Peter Fischer bzw. Eintracht Frankfurt habe ich auch noch etwas gefunden :
Leitartikel der Frankfurter Rundschau
Wir-Gefühl in Weiß
Die Begeisterung über den Erfolg von Eintracht Frankfurt ist auch Ausdruck der Sehnsucht nach Gemeinschaft in einer polarisierten Welt.
Frankfurt trägt weiß. Es ist die Farbe der Trikots von Eintracht Frankfurt bei ihrem Europapokal-Sieg in Sevilla. Es ist die Farbe der Fans. Die Mainmetropole ist kaum wiederzuerkennen. Die weiße Kleidung macht alle, die sie tragen, zum Teil einer Gemeinschaft.
Der sportliche Erfolg im Elfmeterschießen gegen die Glasgow Rangers bietet eine ideale Projektionsfläche, das sommerliche Wetter den idealen Rahmen. Die Emotionen, die an die Oberfläche kommen, drücken mehr aus als Freude über ein gewonnenes Fußballspiel. Sie zeugen von Sehnsucht nach einem Wir-Gefühl, das alle einschließt, die dazugehören wollen.
Die Begeisterung ist Ausdruck der Sehnsucht nach Zusammengehörigkeit in einer polarisierten Welt. Sie zeigt das Verlangen nach Gemeinschaft, die es in der langen Zeit der coronabedingten Vereinzelung nicht geben konnte. Die Euphorie lässt auch das Bedürfnis nach Zusammenhalt in einer Zeit der großen Verunsicherung erahnen, die von Krieg, Inflation und anderen Angstauslösern geprägt ist.
Frankfurt ist die Heimat von Menschen aus 180 Nationen. Der Großraum Rhein-Main, der Offenbach, Hanau und viele andere Städte und Gemeinden einschließt, gehört zu den multikulturellsten Regionen. Ein Großteil der jüngeren Menschen hat Wurzeln irgendwo anders auf der Welt. Eintracht Frankfurt spiegelt diese Zusammengehörigkeit. In kaum einem Profiverein stehen so viele Spieler aus anderen Nationen auf dem Platz. In kaum einer Profimannschaft ist der Teamgeist so ausgeprägt.
Das hat Tradition. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen 1.8 Millionen geflüchteter Menschen nach Hessen und wurden, bei allen Reibungen, aufgenommen und integriert. Der legendäre Ministerpräsident Georg August Zinn hat damals den Satz geprägt: „Hesse ist, wer Hesse sein will“. Kein Satz drückt so einfach und treffend aus, dass Ausgrenzung nicht akzeptiert wird, aber auch niemand zwangsweise integriert wird. Heute gilt: „Eintracht ist, wer Eintracht sein will“.
Lange Zeit nahmen fast nur Männer dieses Identifikationsangebot auf. Frauen spielten keine Rolle im Fußball, und wenn sie ins Stadion kamen, fühlten sie sich als Außenseiterinnen. Das hat sich geändert, nicht nur auf den Rängen. Auch die erfolgreichen Fußballerinnen der Eintracht waren beim Sieg ihrer männlichen Kollegen dabei.
So schließt die Gemeinschaft in Weiß potenziell alle ein, mit einer Ausnahme: Wer ausgrenzt, wird ausgegrenzt. Deswegen sind die klaren Statements von Eintracht-Präsident Peter Fischer gegen Rassismus und gegen die AfD identitätsprägend für die Frankfurter Fankultur.
Frankfurt ist eine widersprüchliche Stadt. Hier ist das Geld zu Hause, hier haben die Banken ihren Sitz. Doch das Paradoxe ist: Der Sieg von Eintracht Frankfurt basiert nicht in erster Linie auf Geld. Der Verein brauchte keine teuren Starspieler, um in Europa zu gewinnen. Sein mittelteures Bundesligateam wuchs in der Europa League über sich hinaus.
Frankfurt lebt Europa. Die Eintracht-Hymne „Im Herzen von Europa“ wird mit Inbrunst intoniert. Dieses Lebensgefühl wird auch außerhalb der Stadt wahrgenommen. Die Mannschaft und die Fans sind Botschafter und Botschafterinnen dieser Haltung geworden.
Das mag Menschen abwegig erscheinen, die von besoffen grölenden Fans angerempelt werden und die Stadt mit Glasscherben übersät erleben. Es mag zynisch klingen in den Ohren von Polizistinnen und Polizisten, die von Fans attackiert werden. Massenhaft erlebte Begeisterung hat immer ein Moment von Entgrenzung. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben, gerade wenn die Feiernden zu einem nicht geringen Teil testosterongesteuerte junge Männer sind.
Die Sicherheitsbehörden können versuchen, das zu kanalisieren. Aber eine Gesellschaft muss das aushalten. Denn sie profitiert vom Fußball als verbindendem Element und als Ventil für Emotionen, die sonst auf andere Weise explodieren würden.
Fußball verbindet das Rhein-Main-Gebiet im Sieg wie in der Niederlage. Nicht zufällig ist ein Satz in den Frankfurter Sprachgebrauch eingegangen, der vom gemeinsamen Aufstehen zeugt. „Lebbe geht weider“, sagte der damalige Eintracht-Trainer Dragoslav Stepanovic nach der bitteren Niederlage im Mai 1992 in Rostock, die den Verein die Deutsche Meisterschaft gekostet hatte. Wie leicht wäre eine Niederlage in Sevilla möglich gewesen. Dass es zum Sieg reichte, macht das Wir-Gefühl so überwältigend.
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