Einsatzbereitschaft und ein wenig Glück verhelfen dem aufstrebenden 1. FC Nürnberg zum 1:0 bei Arminia Bielefeld
Mit kleinen Schritten auf einem langen Weg
Dritter Pflichtspiel-Sieg binnen acht Tagen – Entscheidung durch Martin Drillers ersten Bundesliga-Treffer seit dreieinhalb Jahren
BIELEFELD – Der Erfolg eines mehrjährigen Lernprozesses lässt sich meist nur anhand von Kleinigkeiten ablesen. Pädagogen verteilen zum Beispiel Noten, im Profi-Fußball werden als mögliche Indizen für den erhofften Fortschritt einer Mannschaft zuallererst Punktzahlen bemüht, gefolgt von spielerischer Entwicklung oder Cleverness. Würde morgen beim 1. Fußball-Club Nürnberg eine spontane Leistungskontrolle durchgeführt, wäre zweifelsohne eine bereits seit geraumer Zeit ansteigende Tendenz zu vermelden; das glückliche, aber keinesfalls unverdiente 1:0 (0:0) in Bielefeld passt absolut ins Bild.
Doch grenzenlose Euphorie nach drei Pflichtspiel-Siegen binnen acht Tagen will trotzdem nicht so recht aufkommen am Valznerweiher. Glücklicherweise, möchte der geneigte Beobachter kommentieren, wurde aus notorischer Anfälligkeit für Träumereien mittlerweile eine heilsame Lehre gezogen: Zurückhaltung dominiert. „Wir sind wieder einen Schritt weiter“, sagte Trainer Klaus Augenthaler wohltuend besonnen, und der erneut grandios haltende Torwart Darius Kampa ergänzte: „Vor uns liegt noch ein langer Weg, wir müssen konzentriert weiter arbeiten.“ Bei aller Bescheidenheit: Die Club-Azubis haben offenbar eine beachtliche Auffassungsgabe und diverse Profi-Lek tionen flott verinnerlicht, etwa bis zum Schlusspfiff konzentriert zu bleiben.
Somit dürfen sich Spieler, Trainer, Präsidium und Fans nach zwölf Runden an einer stolzen Momentaufnahme ergötzen. „Wir sollten zunächst einmal froh sein, bereits soviele Punkte gewonnen zu haben“, meinte Kampa. Exakt 16 an der Zahl (neun mehr als zum vergleichbaren Vorjahreszeitpunkt), notiert auf Rang zehn mit drei Zählern Rückstand auf einen UI-Cup-Platz, im Umkehrschluss aber auch nur dünnem Polster (zwei) zur Abstiegszone. Die nationale Elite-Liga präsentiert sich höchst ausgeglichen im Herbst 2002, woraus auch für die Nürnberger sowohl Gefahren als auch Chancen resultieren.
Dennoch lässt sich beim neunmaligen deutschen Meister zurzeit niemand von – zugegeben – reizvollen Perspektiven blenden, weil trotz jüngster Triumphe einfach noch zu viele Mängel festzustellen sind. In Bielefeld hat der Club, gestützt auf gewissenhafte Defensivarbeit mit einem herausragenden Linksverteidiger Milorad Popovic, bravourös geackert, spielerisch jedoch eine der schwächeren Saisonleistungen abgeliefert und in manchen Situationen, wie selbst Präsident Michael A. Roth eingestehen musste, „wirklich Glück gehabt“ – etwa bei einem Lattentreffer von Dammeier (61.) oder Diabangs vermeintlichem Abseitstor (70.). Positiv: Obwohl in manchen Phasen die Linie abhanden gekommen zu sein schien, sind drei Punkte eingefahren worden. Lieber schlecht spielen und gewinnen als gut spielen und verlieren, über die Art und Weise spricht spätestens morgen sowieso niemand mehr.
Ausgerechnet Martin Driller, diesmal für Milan Belic in der Startformation, hatte nach 56 Minuten eine Freistoß-Flanke von Tommy Larsen per Kopf zum 1:0 verwertet. „Ich habe im richtigen Moment den richtigen Schritt gemacht“, sagte der Routinier, erstmals seit 15. Mai 1999 wieder Torschütze in einer Erstliga-Partie, sichtlich aufgekratzt, „wir sind weiter als vergangene Saison.“ Auch Driller sieht noch Steigerungspotenzial und das Leistungsvermögen insgesamt erst zu „80 bis 85 Prozent“ ausgeschöpft.
Nach starkem Beginn der Gäste, mit ansehnlichen Ballstafetten und ordentlicher Spieleröffnung, war Bielefeld zwar optisch meist überlegen, ließ jedoch die Effektivität beim finalen Torschuss vermissen. „Es ist schade und tut auch weh“, meinte Coach Benno Möhlmann, arg zerknittert nach der zweiten Heimpleite, aber letztlich „haben wir in der ersten Halbzeit den Grundstein zur Niederlage selbst gelegt“, mit einigen recht fahrlässig verschusserten Möglichkeiten zur Führung. Im zweiten Durchgang, glaubte zumindest Darius Kampa, „hatte ich nie das Gefühl, das Bielefeld noch ein Tor erzielen könnte“. Wobei überdies nicht vergessen werden darf, dass der Club am Mittwoch in Offenbach einen 120-minütigen Pokal-Kampf bestritten hat und der Sieg bei ansonsten heimstarken Ostwestfalen daher „umso höher bewertet“ werden müsse (Augenthaler).
Fast greifbar ist mittlerweile das neue Wir-Gefühl und Selbstbewusstsein in Reihen des 1. FCN, was auch Kontrahenten sichtlich beeindruckt; der Club hat sich in Fußball-Deutschland wieder einen wohl klingenden Namen erarbeitet. „Wir haben gewusst, dass der FCN etwas spielstärker agieren kann als wir“, gestand Benno Möhlmann ein. Man bringt den Franken wieder Respekt entgegen. Auch andere Teams lernen offensichtlich rasch hinzu.
Bielefeld: Hain – Reinhardt, Dabrowski, Hansén – Brinkmann (66. Diabang), Rauw (77. van der Ven), Kauf, Dammeier (64. Porcello), Albayrak – Vata, Wichniarek.
Nürnberg: Kampa – Nikl, Kos, Petkovic, Popovic – Sanneh, Larsen, Jarolim (86. Stehle), Müller – Driller (77. Belic), Ciric.
Schiedsrichter: Aust (Köln) – Tor: 0:1 Driller (56.) – Zuschauer: 18 153 – Gelbe Karten: – Nikl (2), Kos (3).
WOLFGANG LAASS