Ich finde diese grundsätzlichen Fragen absolut richtig. Mit den ständigen Mutationen, die im Fall von AstraZeneca sogar schon den ersten Impfstoff erheblich in seiner Durchschlagskraft schwächen, muss man die Frage stellen, ob man nicht irgendwann die Infektionen in Kauf nimmt, versucht durch Impfungen und ggf. demnächst bessere Behandlungsmethoden das Schlimmste zu verhindern, aber ansonsten normal weiterlebt. Ich habe massive Bauchschmerzen daran, wenn man Lockerungen mechanisch an Infektionszahlen bindet. In der Presse wurde das als großer Fortschritt gegenüber konkreten Terminen gefeiert, weil die meist ohnehin wieder abserviert wurden.
Aber wie lang ist so ein Modell gangbar? Es zeichnet sich längst ab, dass die Impfstoffe nicht unbedingt die (überhöhten) Erwartungen erfüllen können, auch wenn sie hoffentlich nicht genauso nutzlos werden wie die komplett gescheiterte App. Wenn wir jetzt sagen wir können erst ab einer Inzidenz von 10 wieder einigermaßen in den Normalbetrieb, heißt das dann volle Stadien, Konzerte, Auslandsreisen bleiben zur Not auch 5 oder 10 Jahre lang verboten, wenn jedes Jahr eine neue Mutation über den Globus rollt? Oder für immer?
Einer kürzlich veröffentlichen Studien zu Folge starben 2018 weltweit 8 Millionen Menschen auf der Welt an Luftverschmutzung in Folge der (übermäßigen) Nutzung fossiler Brennstoffe. Trotzdem würde wohl nicht mal Greta fordern, dass wir jetzt von heute auf morgen den Straßenverkehr einstellen und die Kraftwerke abschalten. Das ist aber so ziemlich genau die Taktik, die wir beim Coronavirus jetzt seit einem Jahr lang fahren, mit allen entsprechen Folgeschäden für die berufliche, finanzielle, soziale und psychisch-emotionale Situation von Menschen.
Die Art wie man sich fast mechanisch in das Schema "Inzidenzzahlen über 35/50: Lockdown" verrannt hat, macht mir ehrlich gesagt massive Sorgen, weil ich da nach einem Jahr als Pessimist angesichts der Schreckensmeldungen über die Mutationen vermute, dass das potenziell endlos so weitergeht. Wir haben jetzt Februar, die erste Welle ging hier im März los und hatte ihren Höhepunkt Mitte/Ende April. Auf das Wetter brauchen wir also in naher Zukunft auch nicht hoffen. Ich halte den Lockdown nach wie vor für ziemlich geeignet, um als "Wellenbrecher" das exponentielle Wachstum zu brechen, aber eine langfristige Strategie ist er nach wie vor nicht. Leider ist er in Abwesenheit einer solchen aber zu einem Ersatz genau dafür geworden.