SZ, Montag, 10.3.2003
Aufrechte Angst vor dem Genickbruch
Bielefeld muss sich nach dem unglücklichen 1:1 in Schalke Sorgen um das Nervenkostüm machen
Gelsenkirchen – „Wo geht es denn hier raus?“ Ansgar Brinkmann hatte leichte Orientierungsprobleme, als er dem Kabinentrakt der Schalke-Arena entfliehen wollte. Ein wenig ratlos blickte der Bielefelder Fußball-Profi umher, die Tasche geschultert. Dann ging er, auf einen guten Ratschlag hin, sechs Meter in die richtige Richtung, blieb stehen – und kramte sein Handy aus der Tasche. Leicht hektisch tippte er auf die Tastatur, zwei Mal schüttelte er missmutig den Kopf. Vermutlich hat er seiner Lebensgefährtin erst einmal eine deftige Frust-SMS gesandt. Dabei hätte er genauso gut die der letzten Wochen zwischenspeichern und erneut verschicken können.
Denn in Bielefeld wiederholt sich das traurige Schicksal in beängstigender Art und Weise. Wenn das Team schlecht spielt, verliert es die Partie. Tritt die Elf dagegen so erstaunlich kompakt und überzeugend auf wie am Samstag beim 1:1 gegen den FC Schalke, müssen sie sich mit einem Punkt zufrieden geben. Und außerdem, darin haben die Arminen ebenfalls Übung, werden sie in fortgesetzter Manier vom Schiedsrichter benachteiligt. So stand Ansgar Brinkmann wenige Minuten vor dem ersten Telefonkontakt im Flur und echauffierte sich, stellvertretend für dessen Kollegen, über die Leistung von Schiedsrichter Jörg Keßler: „Als ich das erste Mal im Strafraum gefoult wurde und der Schiri nicht pfiff, hab ich gesagt: Okay. Beim zweiten Mal war es auch noch okay. Aber jetzt ist es der fünfte oder sechste Elfer, den wir nicht kriegen.“ Ergo würde Arminia Bielefeld, fänden die Regularien des DFB auch für die Ostwestfalen Anwendung, längst in Uefa-Cup-Träumen schwelgen.
Arminia aber steht so nahe an der Abstiegsklippe wie nie zuvor. Der Abstand zu den Plätzen, die zur Zweitklassigkeit verpflichten, ist so gering wie seit Monaten nicht mehr. Dies ist, bei aller berechtigter Ärgernis über das nicht geahndete Foul von Tomasz Hajto an Brinkmann (85.), nicht zuletzt das Versäumnis der Westfalen selbst. Das erkannte letztlich sogar Brinkmann an: „Wir hätten den Sack selber zumachen müssen.“ Mehrfach sogar. Doch als sich die eindeutigen Chancen zum Sieg boten, streikten Dammeier (69.), Momo Diabang (72.) oder dem eingewechselten Rade Bodganovic (87.) die Nerven.
Zudem bestand am Samstag ohnehin nicht wirklich nachhaltig Grund, nach den Ursachen des Remis im Schiedsrichterwesen zu forschen. Der Bielefelder Führungstreffer durch das Eigentor von Tomasz Waldoch (57.) war weniger in der Unsicherheit des Schalke-Kapitäns als vielmehr im regelwidrigen Einsatz von Kapitän Bastian Reinhardt zu suchen.
Es sind Nebenkriegsschauplätze, wie sie stets eröffnet werden, wenn ein Team merkt, dass das eigene Unvermögen, ein Spiel wie jenes auf Schalke für sich entscheiden zu können, nicht aufzuhören vermag. Also sind andere schuld, während intern unverbrüchlich an die Ruhe appelliert wird: „Der Vorsprung schmilzt, aber wir sind nicht in der Situation, wo wir uns ihn Panik reden sollten“, befahl Keeper Matthias Hain der eigenen Elf Selbstbewusstsein. „Wir dürfen uns jetzt nicht kaputt reden“, assistierte Detlev Dammeier.
In der Tat zeigte die Defensiv-Leistung der Arminen Züge einer Bundesliga- Reife, die Art und Weise, in der allerdings die Konterchancen vergeben wurden, lässt auch bei den Arminen langsam Zweifel zu: „Wir sind nicht clever, nicht kaltschnäuzig genug. Das ist sicher auch eine Frage der Qualität“, attestierte Kapitän Bastian Reinhardt dem eigener Elf mangelnde Klasse. „Aber die haben wir in der Hinrunde ja auch gehabt.“
Tempi passati. In der harten Realität des Abstiegskampfes entscheiden nur die letzten zehn Partien über das Wohl und Wehe des Klubs. Reinhardt ahnt es: „Wenn wir das Manko nicht bald abstellen, könnte uns das noch das Genick brechen.“ So weit unten auf der Versehrtenskala aber sehen sich die Bielefelder noch nicht. Schließlich, so Reinhardt, könne man „noch erhobenen Hauptes“ nach Hause fahren. Und der Blick auf die Konkurrenz könne doch auch Mut machen, wie Matthias Hain beschloss: „Cottbus oder Lautern machen sich wegen ihrer Mini-Serien doch auch Hoffnungen – und die sind nicht besser als wir. “ Einverstanden. Aber sie holten zuletzt mehr Punkte.
Dirk Graalmann