"Der Friedhof ist voll von Unschuldigen“
Arminia Bielefelds Ansgar Brinkmann über seine Verurteilung, Zweifel an der Gerechtigkeit und die Flucht in die heile Fußballwelt
Das Amtsgericht Bielefeld hat den Bielefelder Fußballprofi Ansgar Brinkmann am vergangenen Freitag wegen Körperverletzung in fünf Fällen zu einer Geldstrafe von 42000 Euro verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Brinkmann nachts in einem Fast-Food-Lokal einem Mann einen Faustschlag versetzt und einen anderen getreten hatte. In drei anderen Anklagepunkten war der Fußballer geständig.
SZ: Am Freitag sind Sie vom Amtsgericht Bielefeld wegen Körperverletzung verurteilt worden – am Samstag haben Sie eines Ihrer besten Bundesligaspiele gemacht. War es doch eine gute Woche?
Ansgar Brinkmann: Gute Frage. Dass wir in Bremen gepunktet haben, ist natürlich positiv. Was davor war, ist nicht einfach zu verarbeiten. Dafür werde ich sicher zwei bis drei Wochen brauchen.
SZ: Man hatte im Gerichtssaal den Eindruck, dass Sie nach dem Urteil richtiggehend konsterniert waren.
Brinkmann: Ich habe diesen Menschen bei McDonalds nichts getan, aber ich werde dafür verurteilt. Dass mir da das Lachen schwer fällt, möge man mir nachsehen. Es war nie meine Art, anderen zu schaden. Wenn, dann habe ich mir im Leben immer selbst geschadet. Ich empfinde das Urteil als brutal.
SZ: Bemerkenswert, dass einer 24 Stunden danach zu solch einer Leistung fähig ist, wie Sie im Spiel in Bremen.
Brinkmann: Ich bin kein labiler Typ. Ich hab mir gesagt, Ansgar, dieses Urteil wirft dich nicht um. Jetzt kommt halt der Wind von vorne, aber so ist das manchmal im Leben, da muss ich jetzt durch.
SZ: Aber so einfach kann es doch nicht sein. Haben Sie in den Stunden zwischen Verhandlung und Spiel mehr an den Prozess oder an Fußball gedacht?
Brinkmann: Es war schwer, abzuschalten. Ich bin immer noch nicht wieder auf Normal-Null, aber ich bin Teil einer Mannschaft, die zusammenhält. Ich kann meine Mitspieler nicht im Stich lassen. Wir halten zusammen in Bielefeld.
SZ: Wurde vor dem Spiel noch über die Ereignisse vom Freitag gesprochen?
Brinkmann: Der Trainer hat gesehen, dass ich das Lachen etwas verloren habe, aber er weiß auch, dass ich Verantwortung übernehme. Ich denke, dass nur wenige mit dieser Sache so umgehen können wie ich. Ich bin da schon belastbar.
SZ: Man hatte den Eindruck, dass das Spiel in Bremen für Sie eine willkommene Gelegenheit war, in eine andere Welt zu flüchten, eine, in der Sie sich eher zu Hause fühlen als in der Realität.
Brinkmann: Ich bin dankbar für jeden Tag, den ich Fußball spielen kann. Was mir dieser Sport bedeutet, kann ich gar nicht in Worten ausdrücken. Da haben Sie schon recht: In den 90 Minuten kann man alles um sich herum vergessen.
SZ: Sie haben vom Zusammenhalt gesprochen. Woran liegt es außerdem, dass die Arminia eine wesentlich bessere Saison spielt als ihr zugetraut wurde?
Brinkmann: Allein mit Kampf kommst du nicht weiter, das hat in der letzten Saison das Beispiel St. Pauli gezeigt. Dann nehmen sie dich irgendwann auseinander. Deshalb ist es wichtig, dass wir Leute wie Diabang oder Vata haben, die spielerische Qualität in die Mannschaft bringen. Wir haben eine gute Mischung.
SZ: Welche Funktion erfüllt Ansgar Brinkmann in diesem Konstrukt?
Brinkmann: Wir älteren Spieler machen die jungen stark. In anderen Vereinen werden die Jüngeren oft an den Rand gedrängt, weil andere Angst um ihren Stammplatz haben. Aber bei Detlev Dammeier oder mir ist das anders. Ich sage dem Momo Diabang immer: Mach dir keinen Kopf, wenn du mal hängen bleibst. Ich bleib drei Mal hängen.
SZ: Aber Ihre Rolle erschöpft sich nicht in diesem pädagogischen Aspekt. Sie werden nicht leugnen, dass Sie im Bielefelder Spiel für die exzentrischen Aktionen verantwortlich sind.
Brinkmann: Tue ich auch gar nicht. Ich sehe das so: Wenn es 3:0 steht, gibt es viele, die gut Fußball spielen können. Aber du brauchst auch Spieler, die aus einem 0:1 ein 1:1 und aus einem 1:1 ein 2:1 machen können. Allein mit Einstellung und sauber im Regal aufgestellten Schuhen und solch einer Ich-mach-alles-was-du-willst-Trainer-Mentalität wird das nichts. Und das entspricht meinem Charakter: Ich will was riskieren, und wenn 20000 Leute kollektiv aufstöhnen, ist mir das egal. Ich will auf den Platz gehen und sagen: Die sind elf, wir sind elf, wollen wir mal gucken, wer gewinnt.
SZ: Wenn jemand sagen würde, eben diese Mentalität habe Sie auch auf die Anklagebank gebracht, was sagen Sie dem?
Brinkmann: Natürlich habe ich es oft übertrieben. Aber ich habe Spaß am Leben, und daran kann ich nichts Negatives finden. Was den Prozess angeht, will ich keine Entschuldigungen suchen: Den hätte ich ganz allein vermeiden können.
SZ: Haben Sie sich zu Silvester gute Vorsätze für das neue Jahr gefasst?
Brinkmann: Ich habe mir vorgenommen, nicht mehr aus dem Haus zu gehen. Ich gehe nur noch zum Training und bestelle mir ansonsten Essen auf Rädern. Aber Spaß beiseite: Was soll ich groß ändern? Natürlich muss ich in Zukunft aufpassen, nicht wieder in solche Situationen zu geraten. Ich sollte daraus lernen.
SZ: Ihr Anwalt Holger Rostek hat angekündigt, in Berufung zu gehen. Haben Sie mal darüber nachgedacht, die Strafe zu akzeptieren, um einen Schlussstrich unter die Sache zu setzen.
Brinkmann: Ja, habe ich. Ich bin sehr stolz und ein Gerechtigkeitsfanatiker. Aber ich habe keine Lust mehr, mit der Sache weiter in der Zeitung zu stehen. Auch wenn ich mir hundert mal sage, dass ich ungerecht behandelt worden bin: Vielleicht muss ich das jetzt einfach mal einstecken. Mir reicht's.
SZ: Wieso gehen Sie dann in Berufung?
Brinkmann: Ich weiß noch nicht, ob ich das tue. Manchmal muss man seinen Stolz auch mal Stolz sein lassen. Ich habe mich während unseres Trainingslagers in der Türkei lange mit Christoph Daum unterhalten. Der hat mich in dieser Ansicht bestätigt. Es soll bei mir in Zukunft wieder um Fußball gehen.
SZ: Die Bielefelder Staatsanwaltschaft hat gegen zwei Ihrer Mitspieler, die als Zeugen im Strafprozess ausgesagt haben, ein Ermittlungsverfahren wegen uneidlicher Falschaussage eingeleitet.
Brinkmann: Das wusste ich gar nicht.
SZ: Fürchten Sie, dass die Angelegenheit weitere Kreise zieht und sich negativ auf die Mannschaft auswirkt?
Brinkmann: Ich würde von Menschen wie Bastian Reinhardt, Rüdiger Kauf oder Christoph Dabrowski nie erwarten, dass sie mich schützen, weil sie ja selber in der Öffentlichkeit stehen. Die drei sind seinerzeit vom Verein unter vier Augen befragt worden, was da los war. Sie haben vor Gericht nur ausgesagt, was sie gehört und gesehen haben, und das wird in einer Demokratie ja wohl noch erlaubt sein. Mal im Ernst: Wenn es bei McDonalds so gewesen wäre wie von der Gegenseite behauptet, dann wäre ich sofort danach zu unserem Geschäftsführer Thomas von Heesen gegangen und hätte gesagt: „Du, Thommy, ich hab da wem auf die Fresse gehauen, wir müssen mit denen reden.“ Nur weil ich verurteilt bin, bin ich noch lange nicht schuldig. Der Friedhof ist voll von Unschuldigen.
Interview: Jens Kirschneck