Heute in der SZ im NRW-Teil:
Big Brother in der Bundesliga
Computer-Programme schaffen den gläsernen Fußballer – die Analysetechnik kommt aus Düsseldorf
Düsseldorf – Der moderne Fußball hat viele Facetten. Millionengehälter für mittelmäßige Spieler, ausufernde Fernsehpräsenz oder eine maßlos überhöhte Bedeutung des Spiels, wenn Bundesligapartien in der Tagesschau wird mehr Raum gewährt wird als dem Außenminister auf heikler Nahostreise. Grenzen sind überschritten, vielerorts wird zurückgerudert, man hat erkannt, dass der Bogen überspannt ist. Auf einem Gebiet jedoch, hat der Fußball im Allgemeinen und die Bundesliga im Speziellen enormen Nachholbedarf.
Das jedenfalls glaubt der Düsseldorfer Unternehmer Jens Urlbauer, Geschäftsführer von MasterCoach Deutschland. „Es gibt im Fußball diese Laktat-schießt-keine-Tore-Mentalität“, sagt er und meint damit, dass die hochgerüstete Fußballbranche sich erstaunlich langsam der modernen Wissenschaft öffnet. Auf medizinischem Sektor ist man zwar inzwischen aufgeschlossen, aber Spiel- und Trainingsanalysen machen die meisten mit ein paar Notizen, Augenmaß und einer gehörigen Portion Intuition.
Die West-Klubs Schalke 04 und Arminia Bielefeld sowie die Bundesligisten 1. FC Kaiserslautern, Hertha BSC Berlin und Energie Cottbus sind gegenwärtig die einzigen Bundesligisten, die mit der in Norwegen entwickelten computergestützten Spielanalyse des Unternehmens arbeiten. Einziger Konkurrent am Markt ist die Dortmunder Firma Sports Analytics, die im Auftrag des VfL Wolfsburg und Werder Bremen Videos zur Spielanalyse anfertigen. Top-Klubs wie Bayern München und Bayer Leverkusen besitzen jeweils eigene Schnittstudios.
Billig sind alle Varianten nicht. Etwa 20000 Euro kostet die Vollausstattung inklusive Hardware und Schulung eines Mitarbeiters aus dem Trainerstab. Der lässt dann eigene Spiele und die letzten Partien der Gegner im Programm ablaufen und ordnet die Spielszenen per Mausklick bestimmten Kategorien zu. Je nach Wunsch des Cheftrainers können dann alle Ecken oder Freistöße des Gegners abgerufen werden, alle Ballverluste der eigenen Mannschaft oder die gewonnen Zweikämpfe von, sagen wir mal, Ansgar Brinkmann . Jeder kann festlegen, welche Aspekte er braucht. „Das ist tatsächlich sehr hilfreich“, sagt Frank Geideck , Co-Trainer von Arminia Bielefeld. Uwe Scherr, Analytiker bei Schalke 04, spricht von einer „erheblichen Hilfestellung“, mit der er nun „messerscharf analysieren“ könne.
In der Mannschaftsbesprechung werden Szenen ohne Aufwand kompakt vorgeführt. „Das ist effizienter als herkömmliche Videovorführungen, denn wissenschaftlichen Erfahrungen zufolge lässt die visuelle Lernfähigkeit nach 15 bis 20 Minuten deutlich nach“, sagt Christofer Clemens, Vertriebsleiter des Unternehmens. Zudem entsteht ein Archiv, in dem die sportliche Leitung, etwa bei Interesse an einem Spieler, nochmals dessen Zweikämpfe oder Defensivkopfbälle der letzten drei Jahre abrufen kann.
Kopfbälle der letzten Jahre
Ewald Lienen hat deshalb gleich zwei Systeme gekauft – eins für den 1.FC Köln und eins für sich selber, damit er auch bei anderen Vereinen Zugriff auf die Daten hat. Lienen war der erste Fußball-Trainer in Deutschland, der die Technik benutzte. „Aber in Ländern wie Dänemark, Schweden und Norwegen und in Sportarten wie Handball und Basketball wird seit Jahren damit gearbeitet“, sagt Christofer Clemens. Der ehemalige norwegische Fußball- Nationaltrainer Egil Olsen hat Mitte der 90er Jahre das Konzept entwickelt und die Gründung von MasterCoach initiiert. Öfter gewonnen haben die Teams deshalb nicht, aber die nationalen Verbände Skandinaviens arbeiten eifrig mit der Technik.
Die deutschen Bundestrainer Rudi Völler und Michael Skibbe hingegen griffen nur einmal auf die Hilfe der Düsseldorfer zurück. Vor den entscheidenden WM-Qualifikationsspielen gegen die Ukraine 2001 forderte Skibbe eine Analyse des Gegners an. „Wir konnten da durchaus deren Schwächen vor allem im Kopfballspiel aufdecken, und die sind dann ja auch gut ausgenutzt worden“, erzählt Clemens mit leichtem Stolz und ist etwas enttäuscht, dass der DFB deshalb nicht gleich das ganze System gekauft hat.
„Im deutschen Fußball wird immer erst reagiert, wenn es weh tut“, meint Urlbauer. Den Weltverband Fifa hat er dagegen bereits als Kunden gewonnen. MasterCoach hat die Spiele der Fußball-Weltmeisterschaft 2002 in deren Auftrag analysiert. Nur ein Anfang, glaubt Urlbauer. Er ist vor allem Kaufmann – und deshalb per se überzeugt: „Unsere Zeit wird kommen.“ Daniel Theweleit
Quelle
Stand : 30.12.2002