Umgekehrt stelle ich mal die Überlegung in den Raum, dass es Situationen gibt in denen die Demokratie mit rein demokratischen Mitteln nicht zu retten ist. Eine beginnende Diktatur lässt sich nur selten durch Wahlen beseitigen. Erst recht, wenn Medien, Behörden und Sicherheitsorgane bereits gleichgeschaltet sind. Inwiefern diese Dinge auf die Türkei zutreffen darf gerne jeder für sich selbst bewerten.
Um das hier kurz nochmal aufzugreifen: Demokratie lebt auch immer von alternativen Möglichkeiten. Wenn Medien in ihrer freien Berichterstattung beschnitten werden, Oppositionsrechte eingeschränkt werden, kritische Stimmen in der Justiz sofort ausgetauscht werden, dann mag eine Wahl formell korrekt abgelaufen sein, aber ist der Wahlsieger dann auch wirklich legitimiert? Wie sollen denn Alternativen zur Wahl stehen, wenn oppositionelle Stimmen immer Angst haben müssen unter Vorwänden von einer nicht ganz unabhängigen Justiz verklagt zu werden? Wie soll überhaupt über Alternativen aufgeklärt werden, wenn Social Media unter staatlicher Überwachung steht und Medienmacher, die nicht in von der Regierung gewünschten Form berichten, eingeschüchtert werden?
Damit möchte ich in keinem Fall die Putschbewegung rechtfertigen und fand es ausgesprochen gut, dass sich die Menschen (weitgehend friedlich) den Panzern in den Weg gestellt haben. Allerdings finde ich die "Der ist gewählt, also basta!"-Haltung auch etwas zu kurz gegriffen.
Die aktuelle Situation in der Türkei finde ich sehr schwierig zu bewerten. Allerdings habe ich die Befürchtung, dass Erdogan den Putsch politisch nutzen wird, um die Einschränkung weiterer Freiheitsrechte zu rechtfertigen und wer sich in den Weg stellt, bekommt das Etikett "Der war beim Putsch beteiligt" aufgeklebt. Unfassbar, dass einfach mal so 2745 Richter abgesetzt werden.
Eine Frage, die ich mir seit den ersten Berichten gestern gestellt habe, ist, wie es überhaupt möglich sein kann, dass Teile des Militärs scheinbar unbemerkt einen Putsch planen in Anbetracht von einer doch eher paranoiden Regierung. Da ja nicht das gesamte Militär involviert war, müsste da doch etwas nach außen gedrungen sein.
Achja: In Deutschland fehlt definitiv ein ernst zunehmender Nachrichtensender. Ntv und n24 zeigen lieber stur Dokus und Phoenix macht irgendwann Feierabend. BBC Worldnews hingegen stellte nach der Verifizierung der ersten Meldungen sofort das Programm um und berichtete durchgehend. Gerade die öffentlich-rechtlichen hätten doch mit den ARD Korrespondenten und der deutschen Welle ein exzellentes Netzwerk. Wenn die Privatsender lieber Fallschirmdokus auf ihren "Nachrichten"sendern senden, dann haben sie ihr Ziel zu informieren schlicht verfehlt und sollten so ein Projekt auch nicht weiter blockieren...