Die goldenen Regeln des Abstiegskampfes

  • SPIEGEL ONLINE - 17. März 2003, 9:48
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    Die goldenen Regeln des Abstiegskampfes


    Von Philipp Köster


    Die halbe Liga kämpft gegen den Abstieg, nur Bayern München hat sich frühzeitig gerettet. Aber alle übrigen Bundesligisten planen insgeheim auch schon für die Zweitklassigkeit. Doch noch ist der Klassenerhalt möglich.


    Mal angenommen, es hätte sich ein Psychiater auf Abstiegsängste spezialisiert, er könnte sich derzeit wohl über ein brechend volles Wartezimmer freuen. Denn die halbe Bundesliga läge bei ihm auf der Couch und würde stundenlang erzählen, von Existenzängsten, durchwachten Nächten und Panikattacken im Tabellenkeller. Erstaunlich viele Clubs haben noch Grund zum nervösen Nägelkauen. Weil nämlich der Abstand von Platz acht auf Platz 16 gerade einmal schnöde sieben Punkte beträgt.


    Selbst Werder Bremen sollte vorsichtshalber für die Zweite Liga planen. Und spätestens wenn am nächsten Samstag Borussia Dortmund auf der Bielefelder Alm verliert, wird wahrscheinlich auch Matthias Sammer düster unken: "Für uns hat der Abstiegskampf heute begonnen."

    Doch gemach, kein Grund zu haltloser Panik, denn noch stehen schließlich neun Spieltage aus und die Chancen sind durchaus passabel, am Ende drei anderen Teams eine lange Nase zu drehen. Wenn die Vereinsführungen nur die ewigen und eisernen Regeln des Abstiegskampfes befolgen, die da lauten:


    1. Schmeißen Sie fix den Trainer raus. Die Mannschaft steht ja nicht umsonst da unten drin. Außerdem demonstrieren Sie so Handlungsfähigkeit und Entschlossenheit. Der neue Trainer muss dann aber auch ein echter Kracher sein.


    2. Vertrauen Sie deshalb keinesfalls dem Co-Trainer das Amt an. Sonst haben Sie hinterher Thomas Hörster am Hals. Verpflichten Sie auch keinen versponnenen Feingeist mit Brille und Faible für die Viererkette. Sondern einen harten Burschen mit Offiziersausbildung und schneidigem Auftreten, der die ganze Truppe erst einmal zum Dauerlauf in den Stadtwald und die Mannschaft so motiviert aufs Feld schickt, als ginge es in die Ardennenoffensive und nicht zur zweiten Halbzeit gegen Wolfsburg. Kurzum, holen Sie Rolf Schafstall. Oder Friedel Rausch, wenn Schafstall partout keine Zeit hat.


    3. Verbreiten Sie haltlosen Zweckoptimismus. Mag die Mannschaft auch ein Spiel nach dem anderen vergeigen und sich das rettende Ufer rasant entfernen, Sie würzen auch klare Heimniederlagen gegen Tabellennachbarn mit dem historischen Präsens: "Wenn wir in Führung gehen, geht das Spiel anders aus." Auch aufbauende Kommentare wie "Die Messe ist noch nicht gelesen" oder "Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos" sind in der Kabine immer gerne gehört und geben hübsche Zitate für die Lokalpresse. Schauen Sie aber hin und wieder auch noch mal auf die Tabelle. Sonst sorgen Sie für ausgelassene Heiterkeit auf den Pressekonferenzen, wenn die Mannschaft am letzten Spieltag mit 17 Toren Unterschied bei den Bayern gewinnen müsste, um noch die Klasse zu erhalten, und Sie vor dem Spiel gut gelaunt verkündet haben: "Rechnerisch ist noch alles drin."

    4. Decken Sie heimtückische Verschwörungen auf. Denn klebt die Mannschaft am Tabellenende, beginnt erfahrungsgemäß alsbald die Suche nach den Sündenböcken. Hüpfen Sie schnell aus der Schusslinie und äußern einen ganz ungeheuerlichen, gleichwohl nahe liegenden Verdacht: "Der DFB will uns wohl nicht in der Liga haben." Und zur Untermauerung dieser These haben Sie natürlich eine einschlägige Datenbank zur Hand: "Elf nicht gegebene Elfmeter für uns, allein in dieser Saison." Muss ja nicht stimmen, hört sich aber prima an und wird garantiert nicht nachgeprüft. Schon gar nicht von den eigenen Fans, welche die empirisch nicht belegte Behauptung nur zu gerne aufgreifen und den DFB mit Hunderten empörten Mails befeuern. Und vielleicht weist ja der DFB seine Schiedsrichter als Entschuldigung an, beim nächsten Mal schneller zu pfeifen, wenn wieder einmal der Flügelstürmer gänzlich unbedrängt von Gegenspielern im Strafraum zu Boden sackt.


    5. Hören Sie nicht auf die Fans. Bei allen Entscheidungen, die Sie treffen, ignorieren Sie die Meinung der Anhänger. Belassen Sie keinen Trainer im Amt, bloß weil ein paar Leute im Stadion seinen Namen krakeelen. Denn das Publikum ist wetterwendisch. Die gleichen Fans werden in drei Monaten eine Sitzblockade vor dem Mannschaftsbus machen und anklagend fragen, warum denn bitte schön so lange am Trainer festgehalten wurde. Und die Antwort müssen Sie dann geben, sonst sitzen die Anhänger noch Stunden vor dem Bus.



    6. Rütteln Sie auf. Kann ja nicht sein, dass der Verein von der Weltöffentlichkeit unbemerkt in die Zweite Liga absteigt. Das Schicksal des Clubs muss deshalb bundesweite Anteilnahme hervorrufen. Prophezeien Sie deshalb für den Fall des Abstiegs katastrophale wirtschaftliche Folgen für den ganzen Landstrich. Entwerfen Sie deshalb in blumigen Worten ein erschütterndes Szenario, dass die Bronx als pittoreske Reihenhaussiedlung erscheinen lässt gegen das, was Bielefeld, Cottbus und Nürnberg bei einem Abstieg erwartet. Laden Sie Hilfsorganisationen und das Uno-Wüstensekretariat zur Besichtigung ein. Und wer weiß, vielleicht drehen ja auch überregionale Fernsehsender ein einfühlsames Porträt des Vereins mit dem nicht ganz neuen Arbeitstitel "Die Region stirbt".



    7. Bleiben Sie realistisch. Natürlich verschwenden Sie keinen Gedanken an die Zweite Liga. Nicht einmal einen Etat für die Unterklasse stellen Sie offiziell auf, alles andere würde als Zweifel am Erfolg missverstanden. Wäre ja auch noch schöner, wenn der Präsident nicht mehr an den Klassenerhalt glauben würde. Kann aber trotzdem nicht schaden, den Fahrer des Mannschaftsbusses schon mal ein paar günstige Verbindungen heraussuchen zu lassen. Nach Burghausen beispielsweise.

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