SPIEGEL ONLINE - 11. April 2003, 4:50
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Fußballverbot
Foulspiel vor dem Reichstag
Ist Volkseigentum auch für den Volksport Fußball da? Diese Frage treibt zur Zeit Blüten in Berlin. Denn das Kicken soll verboten werden, wo es jahrelang ein Gewohnheitsrecht war - vor dem Reichstagsgebäude. Gegen diesen Platzverweis machen jetzt Sportfunktionäre mobil.
Berlin - Noch nicht einmal der Bundestagpräsident hatte sich daran gestört: Kicken vor dem Reichstag sei auch eine Form von legitimer Inbesitznahme dieses öffentlichen Platzes, befand Wolfgang Thierse und fand sich damit ab, dass der Ball wieder vor dem Bundestagsgebäude rollte.
Jahrelang war dies sogar üblich - bis 1995 Bauzäune den Sonntagskickern den Zugang verwehrten. Erst wurde langwierig ein Tunnel unter der Wiese gebaut, dann Baumaterial für den Reichstagsumbau auf dem Areal gelagert und zum Schluss entstand eine kostspielige Bewässerungsanlage, damit der Rasen vor dem Parlament immer schön grünt. So ist die Wiese erst seit Kurzem wieder gänzlich zugänglich und wird prompt vom gemeinen Bürger für Picknicks und Ballspiele benutzt.
Doch darüber geriet das Berliner Grünflächenamt in Rage. 2,3 Millionen Euro sei die neue Grünanlage teuer und für Schönheitsreparaturen gebe es kein Geld, teilte diese Tage der erboste Leiter des zuständigen Gründflächenamts in Berlin-Mitte mit. Deshalb sollen, so kündigte Harald Büttner an, Polizisten nach Ostern Knöllchen an Fußballspieler verteilen, damit die 40.000 Quadratmeter Volkseigentum nur noch zum Rasten und Ruhen, aber nicht länger zum Bolzen Verwendung finden. 50 Euro Strafe soll der Spaß dann kosten.
Foulspiel sagen nunmehr Berlins Sportler. Im Berliner "Tagesspiegel" zeigte am Donnerstag der Berliner Fußball-Verband (BFV) dem Grünflächenamt die Rote Karte.
Wenn die Behörde nicht von ihrem "unglaublichen Vorhaben" abrücke, wolle der Verband seine 100.000 Mitglieder mobilisieren, um die Hobby-Sportler mit der "einen oder anderen Aktion" zu unterstützen, drohte der BFV-Sprecher Frank Schlüter in der Zeitung an. Denn sollte die Bewässerungsanlage unter der Wiese Fußball nicht aushalten, sei das ein "peinlicher Planungsfehler", doch der dürfe nicht zu Lasten einer Berliner Tradition gehen, den Platz der Republik als öffentliches Areal zu nutzen - auch für Sport. Das Endspiel um die Reichstagswiese dürfte spannend werden. Ein Provinzmatch für die ganze Nation.
Holger Kulick